Auf die Idee gekommen ist Leitner, „weil mir ein Schatz in die Hände gefallen ist.“ Ein Freund habe das örtliche Foto-Atelier seiner Vorfahren aufgelöst. „Das sind zigtausende Negative und Glasplatten, das visuelle Gedächtnis der Gemeinde Bad Goisern. Ich hatte das zwanghafte Interesse, sie zu retten.“
Abbild der Gesellschaft über Jahrzehnte
Das Archiv beinhaltet u. a. Landschaftsaufnahmen, Bilder von Festlichkeiten wie Gamsjägertage und Jahrgangstreffen – und eben alle Leute, die ein Porträt oder Passbild haben machen lassen. Leitner: „In diesem Fundus ist über Jahrzehnte hinweg die ganze Gesellschaft abgebildet.“
70 Passfotos aus den 1980er- und 1990er-Jahren, die ihm repräsentativ und aussagekräftig erschienen, hat er ausgewählt: „Sie geben uns ein Bild davon, wie man gesehen werden wollte.“ Man habe sich damals, vor der digitalen Fotografie, überlegt, was man anzieht, nahezu jeder sei davor zum Friseur – das sehe man auch. „Vor dem Fotografen hat man dann Haltung eingenommen und jeder hat ein Bild von sich abgegeben.“
Leitner „möchte im Rahmen dieses Projekts mit Bevölkerung und Besuchern auch einige Fragen verhandeln, die uns in der laufenden identitätspolitischen Debatte so wichtig erscheinen.“ Auch die Leitkultur-Frage spiele hier hinein. „Um mitzureden, muss niemand die Begrifflichkeiten des deutschen Hoch-Feuilletons kennen.“ Die hält Leitner nämlich für ausgrenzend, statt inklusiv.
Identitäts- und Machtfragen
Die Verortung einer solchen Diskussion im Salzkammergut sei naheliegend, weil sie hier durch den aufkommenden Tourismus „als eine der ersten Regionen schon vor zweihundert Jahre begonnen hat“, erzählt Leitner. „Es wurde nicht immer als Entgegenkommen oder als Interesse an der eigenen Kultur begriffen, wenn der Wiener die Lederhosen oder die Wienerin das Dirndl angezogen hat. Hinter diesem Zugang steht auch eine Machtfrage.“
Auch darüber wird Leitner am Sonntag (16 Uhr) mit Hubert von Goisern reden sowie über sein „von“. „Er hat es gewählt, um seine Herkunft und Identität auszudrücken, aber gleichzeitig gegen die aus seiner Sicht fehlerhafte Charakterisierung aufzutreten.“
„Der Trubel um Identität“ ist am Dienstagabend Thema eines Gesprächs mit u. a. Helga Rabl-Stadler und vor allem der Bevölkerung. Die Visualisierung „Klang und Gestalt der Großen Posen“ von Musikschuldirektor Peter Brugger und seinen Schülern beschließt die Aktion - es ist aber nicht das Ende.
Zigtausende Fotos kehren zurück
Das umfangreiche Foto-Archiv, das in Leitners Keller in Wien auf eigene Kosten vor Zerfleddern und Zerstörung bewahrt wurde, kehrt zurück. „Ich werde es der Öffentlichkeit vermachen und der Gemeinde Bad Goisern übergeben. Er steht damit allen zur Verfügung, die Forschungsprojekte oder Publikationen über die Region machen wollen.“ Wie jüngst für Marion Wisingers „Goisern“.
Ist Leitner ein Bewahrer? „Ja“, sagt er sofort, „weil ich erkenne, wie vergänglich die Welt ist und dem möchte ich etwas entgegensetzen. Auch wenn’s nichts nützt, weil die Welt sich weiter dreht. Aber wir verstehen sie ein Stück besser, glaube ich, wenn wir wissen, wie sie sich dorthin entwickelt hat.“
Der 51-jährige gebürtige Linzer, der sich in Büchern u. a. viel mit Baukultur und -sünden auseinandergesetzt hat, ist übrigens seit gut 20 Jahren Kraft Ehering Salzkammergütler. Leitner: „Natürlich ist es ein Unterschied, ob jemand von dort, wie meine Frau, mit 18 im weitesten Sinn ausgewandert ist oder wie ich später einwandert, weil man sich nicht nur in einen Menschen verliebt, sondern auch in einen Kulturraum. Und das ist der Fall.“
Kommentare