Tamara Metelka und Nicholas Ofczarek: "Dass das einmal ein Skandal war ..."
Nicholas Ofczarek, der vielleicht letzte Wiener Charakterdarsteller in der Tradition eines Johann Nestroy, spielt wieder mehr im Burgtheater: am 23. November den Oskar in „Geschichten aus dem Wiener Wald“, am 25. November den Nikolaj Stawrogin in den „Dämonen“, und am 16. Dezember hat „Dantons Tod“ Premiere – mit Ofczarek als Revolutionsführer, der seinem ehemaligen Gefährten Robespierre unterliegt.
Zuvor aber, am Montag, bestreitet er mit seiner Ehefrau Tamara Metelka, die interimistisch das Max Reinhardt Seminar leitet, eine Thomas-Bernhard-Lesung.
KURIER: Sie beide kamen 1994 ans Burgtheater. Haben Sie sich da kennengelernt?
Tamara Metelka: Nein, in Sankt Hanappi, also im ehemaligen Hanappi-Stadion.
Nicholas Ofczarek: Mit 17 auf der Westtribüne. Denn wir stammen aus West-Wien.
Metelka: Also eine sehr unromantische Geschichte.
Eine Jugendliebe?
Ofczarek: Gar nicht. Einfach „Servas“ – „Servas“. Der damalige Freund meiner Frau war mein Sandkasten-Freund. Zusammengekommen sind wir erst viel später.
Trotzdem liegt die silberne Hochzeit schon hinter Ihnen. In all den Jahren sind Sie fast nie gemeinsam aufgetreten.
Metelka: Wir haben nur ein paar Mal zusammen im Burgtheater gespielt, darunter im „Bauer als Millionär“. Ich bin zudem in „Romeo und Julia“ eingesprungen.
Ofczarek: Und ich einmal im „Reigen“. Meist haben wir uns gegenseitig erzählt, wie die Vorstellungen waren. Und dann über Wesentlicheres gesprochen.
Aber es gab auch nicht viel abseits des Burgtheaters.
Ofczarek: Wir haben kürzlich darüber geredet. Und sind auf vier oder fünf Mal gekommen – in 27 Jahren.
In Reichenau haben Sie 2009 Arthur Schnitzlers „Spiel im Morgengrauen“ inszeniert – und Sie, Frau Metelka, haben mitgespielt.
Ofczarek: Auch im „Talisman“ haben wir gemeinsam gespielt. Aber man muss nicht innerhalb der Familie Theaterspielen. Es war uns nicht wichtig. Wenn es doch dazu kommt, ist es auch okay.
Trotzdem hat Ihre Tochter Maeve den Beruf ergriffen.
Metelka: Zur Verwunderung aller. Denn sie hat ja von Anfang an alles mitbekommen, also auch die schlechten Seiten, darunter den Stress.
Ofczarek: Die Verzweiflung, den Unmut.
Metelka: Aber sie geht viel gelassener mit dem Beruf um. Sie hat jetzt ihre Ausbildung an der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin fertig und geht dort ihren eigenen Weg.
Ofczarek: Sie ist bewusst ausgezogen – in die Welt. Das ist gut.
2019 haben Sie im Akademietheater gemeinsam Texte von Thomas Bernhard gelesen – über die skandalträchtige Staatspreisverleihung. Nun treten Sie in der Burg auf. Mit der Bernhard-Lesung „Im Requisitenstaat“.
Ofczarek: Das ist das gleiche Programm. Vor etlichen Jahren hat Tamara begonnen, für uns Leseabende zu konzipieren, da uns beide der Umgang mit Sprache sehr interessiert.
Metelka: Weil ich am Reinhardt Seminar Sprachgestaltung unterrichte, habe ich mit den Jahren gelernt, Lesungen zusammenzustellen. Ich mache dort jedes Jahr eine. Und wir beide haben jetzt einige Lesungen im Repertoire.
Ofczarek: Zum Beispiel den „Cornet“. Damit man wieder einmal Rilke hört – macht ja sonst niemand. Das ist ein fantastischer Text, in einer Nacht geschrieben!
Metelka: Jetzt mache ich gleich Werbung: Am 26. November um 11 Uhr lesen wir im Hilton für die Selbsthilfe Darmkrebs. Das machen wir mit unserem Geiger, dem Nikolai Tunkowitsch. Weil wir das Programm sehr gleichberechtigt bestreiten, heißt es „Ein Abend für drei Stimmen“.
Die Lesung im Burgtheater realisieren Sie zusammen mit Felix Kammerer?
Metelka: Er hat sich relativ kurzfristig ergeben, und wir meinten, dass unser Programm nicht lang genug ist für einen ganzen Burgtheater-Abend. Und so wurde Felix Kammerer gefragt, ob er mitmachen will.
Ofczarek: Aber auch er liest aus dem Buch „Meine Preise“. Herrliche Texte! Bernhard ist hoch amüsant. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass seine Staatspreisrede einmal ein Skandal war.
Welches Projekt wird als Nächstes folgen?
Metelka: Wir haben uns sehr mit Ludwig Wittgenstein beschäftigt. Weil wir am 1. März 2024 im Radiokulturhaus eine Lesung gestalten. Mir ist aufgefallen, dass Bernhard extrem viel von Wittgenstein übernommen hat – von der exakten Sprache bis zu bestimmten Begriffen.
Ofczarek: Wussten Sie, dass Hitler und Wittgenstein gemeinsam in der Volksschule waren?
Metelka: Es gibt sogar ein Foto! Und weil nächstes Jahr der 100. Todestag von Franz Kafka ist, lesen wir „Briefe von und an Milena“. Normalerweise denkt man nur an die Briefe, die Kafka an Milena Jesenská schrieb. Lange Zeit wusste man so gut wie nichts über sie, man hat in Veröffentlichungen nicht einmal ihren Nachnamen erwähnt. Aber sie war eine begnadete Journalistin und Schriftstellerin, eine Widerstandskämpferin und starb 1944 im KZ Ravensbrück. Eine unglaublich faszinierende Frau! Erst in den 1990er-Jahren, also nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, hat man über sie zu forschen begonnen. Ich habe viel Material von und über sie gesammelt. Und daraus mache ich jetzt zwei Programme. Zu Gehör bringen wir auch ihre Essays.
Ofczarek: Man taucht über diese Texte in eine geistreiche Beziehung ein, voller Tiefe und Humor. Und kann mitunter erkennen, aus welchem Kosmos Kafka seine Romanfiguren kreiert hat.
Metelka: Wir werden das zum Beispiel in Golling bei den Burgfestspielen, im Waldviertel an der tschechischen Grenze und am Semmering beim Florian Krumpöck lesen.
Das Theaterspielen interessiert Sie gar nicht mehr?
Metelka: Ich unterrichte seit etwa 2006. Das war eine Zeit des Umbruchs am Theater, wo die erste Leseprobe ohne Konzept stattfand und es geheißen hat: „Mach mal!“ Man hat den Schauspielerinnen und Schauspielern alles übergeben. Das war ein ziemlicher Zeit-Verschleiß, ich bin sehr ungeduldig geworden. Das war für mich ein Grund aufzuhören. Ich bin jetzt viel glücklicher beim Unterrichten.
Sie leiten wieder einmal das Reinhardt Seminar – jetzt nur interimistisch. Hat sich Maria Happel, die nach massiven Vorwürfen als Leiterin zurückgetreten ist, etwas zu Schulden kommen lassen?
Metelka: Es wird demnächst den Untersuchungsbericht der Kommission geben. Ich will ihm nicht vorgreifen.
Hat das Renommee der Schule gelitten?
Metelka: Das Kollegium war sehr betroffen und es gab viel Verunsicherung.
Also: Ja. Gibt es daher weniger Anmeldungen für die Aufnahmsprüfungen?
Metelka: Nein, es gibt sogar mehr Kandidatinnen und Kandidaten. Es sind auch erstaunlich viele aus Österreich angetreten. Der alte Spruch hat sich wieder bewahrheitet: Auch schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.
Sie, Herr Ofczarek, unterrichten nicht mehr. Warum?
Ofczarek: Das Lehren ist eine hochinteressante Aufgabe, erfordert aber sehr viel Zeit – die jungen Leute müssen ja durchgehend betreut werden. Durch das Drehen ist das jedoch nicht immer möglich.
Sie haben fast nie Regie geführt. Außer eben in Reichenau. Warum denn?
Ofczarek: Dazu muss man wirklich einen Drang verspüren. Es war auch eine schöne Erfahrung, aber heute würde ich das nicht mehr machen.
Metelka: Regie führen ist anstrengend. Denn den Überblick hat man nur von unten – und nicht auf der Bühne.
Es gibt gar nichts, was Sie reizen könnte?
Ofczarek: Vielleicht einmal einen Nestroy, wenn keiner ihn mehr inszenieren mag – aus einer romantischen Sehnsucht heraus. Übrigens: Mir ist bei den Proben zu „Dantons Tod“ aufgefallen, dass der Büchner vom Nestroy abgeschrieben hat. Danton sagt irgendwann: „Das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.“ Und beim Nestroy heißt es: „’s Leben is sein Lebtag nicht wert, dass man sich so ’s Leben abifrißt, um sich ’s Leben zu erhalten.“
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