Von der Irrenanstalt in den Techno-Club

APA14557112 - 10092013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA 142 KI - Der Autor und Musiker Sven Regener während eines Interviews mit der APA - Austria Presse Agentur am Montag, 9. September 2013, in Wien. APA-FOTO: ROBERT JAEGER
Sven Regeners neuer Roman „Magical Mystery“ knüpft an „Herr Lehmann“ an. Der Held der Geschichte: Karl Schmidt, der es von der Klapse ans Steuer eines Tour-Busses schafft. Mit dabei: eine Handvoll Techno-Freaks.

Das Letzte, was man von Karl Schmidt hörte, war, dass er 1989 in die psychiatrische Klinik eingeliefert wurde. So einen Zusammenbruch steckt man nicht so einfach weg. Das braucht Jahre, bis man sich davon erholt hat. Ich habe viele Leute erlebt, die Psychosen entwickelt haben und sich behandeln lassen mussten. Das gibt es häufiger als man denkt. Dann die ganze Drogenproblematik. Das ist einem ja nicht fremd“, sagt Sven Regener, rückt die Hornbrille zurecht und nimmt einen Bissen von seinem Schinken-Käse-Toast. Mit Ketchup, ohne Mayonnaise. Weil: „Mayo mag ich nicht“, sagt der Autor der „Lehmann“-Trilogie und Frontmann der Band Element Of Crime im KURIER-Interview.

Sven Regener sitzt im Cafe Westend. Er ist gekommen, um Fragen zu seinem neuen, vierten Roman zu beantworten. „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“ liegt vor ihm auf dem Tisch. „Es ist erneut ein Ziegelstein geworden, an dem ich eineinhalb Jahre geschrieben habe“, sagt Regener und lächelt dabei spitzbübisch.

Von der Irrenanstalt in den Techno-Club
APA14541260-3 - 10092013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA 142 KI - Der Autor und Musiker Sven Regener während eines Interviews mit der APA - Austria Presse Agentur am Montag, 9. September 2013, in Wien. APA-FOTO: ROBERT JAEGER
Die Hauptfigur in seinem 500 Seiten starken Roman heißt Karl Schmidt. Also jene Figur, die dem sympathischen Selbstzweifler Frank Lehmann in guten wie in schlechten Zeiten als Freund zur Seite stand. Ein stämmiger Künstlertyp mit mieser Frisur, der Skulpturen aus Altmetall schweißte und Trinkerweisheiten auf Lager hatte: "Denkt an die Elektrolyte". Schmidts Ende ließ Sven Regener, der Erfinder dieser Roman-Figur, in Herr Lehmann ziemlich offen wie tragisch ausfallen: Er wurde aus akuten psychischen Problemen ins Krankenhaus gebracht, nachdem er mehrere Nächte nicht mehr geschlafen und seine Kunstwerke eigenhändig zertrümmert hatte. Tags darauf fiel die Mauer in Berlin.

„La Romantica“ und BummBumm

In seinem soeben veröffentlichten, vierten Roman „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“ setzt der deutsche Musiker und Autor Sven Regener die Geschichte von Karl Schmidt fort. „Schmidt nahm bereits in „Herr Lehmann“ eine starke, interessante Rolle ein, die viel erlebt hat. Deshalb wollte ich ihm auch einen eigenen Roman widmen“, sagt Regener im Gespräch.

Karl Schmidt war fünf Jahre weg – in der Nervenklinik. Die Welt hat sich jedoch weiter gedreht – auch musikalisch. Techno ging durch die Decke und seine ehemaligen Kumpels sind jetzt erfolgreiche Technoproduzenten. „Für Schmidt ist vieles neu. Als wäre er im Koma gelegen. Und darauf baut die Geschichte auf“, so Regener.

Regener siedelt die Geschichte seines Protagonisten in Hamburg-Altona der 1990er Jahre an. Dahin hat es ihn nämlich nach seinem depressiven Nervenzusammenbruch verschlagen. Er ist seit ein paar Jahren trocken, nimmt keine Drogen mehr und wohnt in einer betreuten Wohngemeinschaft namens „Clean Cut“. So hat sich Schmidt sein Leben sicher nicht vorgestellt.

Begegnung mit Folgen

Von der Irrenanstalt in den Techno-Club
Als Karl Schmidt im Eiscafé „La Romantica“ zufällig auf seinen alten „Drogen WG“-Kollegen Raimund Schulte trifft, bleibt das nicht ohne Folgen. Schulte betreibt das erfolgreiche Techno-Label „BummBumm“ und engagiert seinen ehemaligen Freund sofort als Fahrer für die geplante "Magical Mystery-Tour". Was folgt ist ein Party-Marathon durch ganz Deutschland, bei der Schmidt ein Haufen verrückter Techno-Freaks im Rausch der Nacht abstürzen sieht. Er selbst bleibt nüchtern, weil er es muss: Im Leben von Karl Schmidt gibt es nur noch Kaffee und Zigaretten.

Warum kennt sich der Element-of-Crime-Sänger so gut in der Techno-Kultur aus? Regener: „In den 80er-Jahren haben sich die Szenen in Berlin überschnitten. Viele Rocker machten plötzlich elektronische Musik. Außerdem war ich ab etwa 1996 viel in Clubs und bei Raves unterwegs, da meine Frau Charlotte Goltermann das Electronik-Label Ladomat 2000 (Whirlpool Productions, Ego-Express, Anm. d. Red.) leitete. Wir verbrachten also viele Nächte im Backstage-Bereich.“

Von der Irrenanstalt in den Techno-Club
APA14557078 - 10092013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA 142 KI - Der Autor und Musiker Sven Regener während eines Interviews mit der APA - Austria Presse Agentur am Montag, 9. September 2013, in Wien. APA-FOTO: ROBERT JAEGER
Regener erzählt die „Rückkehr des Karl Schmidt“ aus der Ich-Perspektive. Der Leser ist dadurch stets mitten im Geschehen und wird durch spannende Dialoge geführt, die teilweise über drei, vier Seiten gehen. Nebenbei spricht Karl Schmidt, für Sven Regener ein „sprachgewaltiger Mann“, über Überlebenstipps: „Vorbereitet sein ist alles!“, „Nur dahin gehen, wo ihr’s im Griff habt!“ und „Einmal ist jedesmal, nur keinmal ist keinmal!“.

Karl Schmidt wird immer wieder von seiner Vergangenheit eingeholt, macht sich Probleme mit sich selbst aus, hat misanthropische Züge und grantelt gerne mal rum: „Raimund kam wieder und stellte mir einen Kaffee hin, es war der falsche Kaffee, eine verlängerte Plörre aus dem Espressovollautomaten, ein Quatschkaffee, den man als solchen gleich an den vielen sinnlosen Schaumbläschen erkannte, die darauf herumschwammen. Raimund hatte recht, das Eiscafé „La Romantica“ war grottig, ein Musterbeispiel für die Talentlosigkeit der Altonaer Gastronomie, die einen irgendwie immer an Schultheateraufführungen erinnerte.“

Kommentare