Geschichte, gegenwärtig
Susan Philipsz ist eine Meisterin darin, die Geschichte von Orten zu vergegenwärtigen, wenn dort scheinbar nichts mehr an das Vorgefallene erinnert. Sie schafft dies nicht durch Denkmäler oder andere sichtbare Zeichen, sondern vorrangig durch Klänge, wie bereits mehrfach in Wien: 2015 erinnerten im Theseustempel im Volksgarten Trompetentöne an die kriegerische Vorgeschichte des Parks als Befestigungsanlage, 2018 rief die Installation „The Voices“ am Heldenplatz jene Stimmen in Erinnerung, die nach Hitlers Einmarsch 1938 laut grölten – oder verstummten.
Doch Theresienstadt ist jener Ort, der Philipsz immer wieder von Neuem beschäftigte. Und er ist nun Fokuspunkt einer eindrücklichen Ausstellung im Kunstraum Franz Josefs Kai 3, die diese Beschäftigung in der breiteren Werkentwicklung der 1965 geborenen Schottin platziert (Bis 15. 9. 2024)
Im Werk „Study For Strings“, das 2012 auf der documenta in Kassel installiert war, hatte Philipsz jene „Studie für Streichorchester“ seziert, die der in Theresienstadt internierte Komponist Pavel Haas für den Ghetto-Propagandafilm der Nazis aufführen musste – kurz bevor er, ebenso wie der „Regisseur“ des Films, Kurt Gerron, nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. In der Wiener Schau ist die Installation in Form von 12 Lautsprechern präsent, die jeweils einen Ton der Cello- und Violinpartien des Stücks wiedergeben.
„Wir unternahmen drei Reisen nach Theresienstadt, um herauszufinden, wo das Stück genau aufgeführt wurde“, erzählt Philipsz. Die Künstlerin und ihr Team wurde einer Turnhalle des Vereins „Sokol Terezin“ fündig, die nach wie vor für sportliche Aktivitäten genutzt wird. Das gleichnamige Filmporträt des Ortes ist nun das Herzstück der Wiener Schau: Zwei Kameras bewegten sich dafür von unterschiedlichen Ausgangspunkten durch das Gebäude, die Tonspur gibt die Klänge der „Study for Strings“-Arrangements wieder, die Philipsz direkt vor Ort für die Aufnahmen installiert hatte.
„Klänge, die einmal generiert wurden, verklingen nicht“ – diese Idee des italienischen Radio-Pioniers Guglielmo Marconi liegt vielen von Philipsz‘ Arbeiten zugrunde. Und so ist die Vergegenwärtigung der Töne von Theresienstadt in Wien selbst wieder ein Sprungbrett, um dem Echo des Ausstellungsraums selbst zu lauschen. In dem Souterrain, in dem der Film läuft, befand sich von 1935 bis 1938 eine Kleinbühne, das „Jüdische Kulturtheater“; im Parterre unterhielten die Brüder Schwadron – aus Galizien eingewanderte jüdische Geschäftsleute – den Schauraum ihres Fliesenunternehmens, das seinerseits das Erscheinungsbild vieler Wiener Jugendstilhäuser bis heute prägt.
Eine Klanginstallation in dem dem Kai zugewandten Raum, „Sound Mirrors“ genannt, schickt nun im Eingangssaal der Ausstellung wie ein Echolot Fragmente von Philipsz`Stimme zwischen zwei Parabolspiegeln hin und her; ein Film, den die Künstlerin 2004 in Berlin drehte, holt den (unspektakulären) Ort, an dem der Aktivist Karl Liebknecht ermordet wurde, ins Blickfeld. Was war? Was ist? Was wird noch sein? Philipsz gelingt es, die Sensibilität für diese Fragen für kurze Zeit auf ein Level zu schrauben, das einen als Wahrnehmenden selbst überrascht. Zu sagen, dass das Erlebnis lange nachhallt, ist hier ausnahmsweise kein Klischee.
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