Jacques Brel in der Großraumdisco

Kommt am 5. Februar in die Wiener Arena: Der belgische Musiker Stromae, der oft als sein puppengesichtiges Alter-Ego auftritt.
„Alors on danse“– was hinter den hitparadentauglichen Rhythmen des Belgiers steckt.

2009 war dieser Ohrwurm allgegenwärtig: Mit „Alors on danse“ gelang dem jungen Belgier Stromae ein Riesen-Hit – über den sich die wenigsten Gedanken machten. Man hielt den (im Musikvideo ziemlich fertig wirkenden) Interpreten für eine talentierte Eintagsfliege. Dass hinter dessen vordergründiger Aufforderung zum Tanz eine Botschaft steckte– eine kritische Hinterfragung des kapitalistischen ewigen funktionieren Müssens – fiel nicht jedem auf. Macht nichts, der Mann legte nach.

Im August erschien das neue Album des nun 28-Jährigen. Auf „Racine carrée“ (Quadratwurzel) gibt es wieder Lieder wie „Papaoutai“, die sofort zum Hit und auch bei uns im Radio auf und ab gespielt wurden. Live ist der belgische Sänger und Musikproduzent, der mit bürgerlichem Namen Paul Van Haver heißt, am 5. Februar in der Wiener Arena zu erleben.

Es ist nicht schlimm, wenn man Stromaes Songs nicht (gleich) versteht, sie sind auch ohne Botschaft fantastische Tanzmusik zwischen New Beat, Hip-Hop- und Electro. Dazu Chanson, Afro und Rumba. Ein unglaublicher Reichtum musikalischer Einflüsse. Und wer will, bekommt noch mehr. Gerne auch vom Maestro persönlich erklärt.

Maestro

Stromae – der kryptische Name ist ein Anagramm des Wortes „Maestro“ – gibt unter anderem per Video-Botschaft gerne Auskunft über seine Musik und deren Inhalt. Es lohnt sich, hinzuhören. Seine Wortspielereien, zum Teil in der Kunstsprache Verlan (siehe unten) verfasst, sind klug, poetisch und erschließen auch für Native Speaker immer wieder neue Gedankenspiele. Was hinter den eingängigen Beats steckt, lässt sich manchmal schon am Namen der Songs ablesen: „Papaoutai“ hört sich an wie „Papa où t'es“ – „Papa, wo bist du“ und ist ein Lied über Stromaes Suche nach seinem Vater, der Opfer des Völkermordes in Ruanda war. Typisch: Was lustig klingt, ist meist viel mehr: In „Moules Frites“ geht es weniger um Miesmuscheln mit Pommes als um safer Sex.

Video: "Papaoutai" von Stromae

Ich und der andere

Auch das Thematisieren des Grabens zwischen Schein und Sein ist typisch für den Belgier: Ein lädierter junger Mann wankt frühmorgens zwischen Straßenbahngleisen herum. Ein Polizist tritt an ihn heran, ist besorgt, will helfen und erkennt schließlich seinen Lieblingsstar in dem Angetrunkenen. Der Star – Stromae – bleibt, höflich und diskret, lieber allein besoffen und beteuert, den Weg nach Hause zu finden. Szenen aus dem Video „Formidable“, dem Hit des französischen Sommers 2013. Das zutiefst dramatische Lied – Stromae erinnert stimmlich wie in seiner Emotionalität an seinen Landsmann Jacques Brel – passt gut zum krisengebeutelten Frankreich . „Formidable“, also wunderbar sei sie gewesen, heißt es im Lied. Und er? Er war „fort minable“, ziemlich armselig. Bei Live-Auftritten singt Stromae den Song gerne am Schluss, fingiert einen Zusammenbruch und lässt sich von der Bühne tragen. Ein Selbstdarsteller im besten Sinn.

Video: "Formidable" von Stromae

Stromae arbeitete früher in einem Fast-Food-Restaurant, um seine Ausbildung zu finanzieren. Selbstverständlich ist ihm sein Erfolg noch lang nicht geworden. So gibt es noch krassere Beispiele seines Nachdenkens über sich selbst als Kunstfigur und des Zurschaustellens eben dieses Nachdenkens: Im Video zu „Papaoutai“ spielt sich der Sänger mit dem melancholisch-schönen Mädchengesicht selbst als Puppe. Um dem eins draufzusetzen, tritt er auch öffentlich als Puppe auf und lässt sich mit steifen Gliedern über den roten Teppich tragen.

Wichtiger als Posen sei aber der Herzschlag, sagt der feingliedrige Superstar über seine Musik, „der Herzschlag, der den Rhythmus bestimmt und uns alle vereint.“

Stromaes Name ist, wie ein bedeutender Teil seiner Texte, in „Verlan“ gehalten, einer französischen Kunstsprache, die unter anderem mit dem Prinzip des Anagramms arbeitet: Durch Umstellung von Buchstaben eines Wortes entsteht ein neues. Wie der Name „Verlan“ – er kommt von französischen „à l'envers“ (umgekehrt).

Auch umgangssprachliche und Wörter aus anderen Herkunftssprachen werden gemixt und mehrfach verdreht: So werden „arabes“ (Araber) zu „beurs“. Gemeint sind damit junge Franzosen maghrebinischer Herkunft.

Jugendliche, aber auch viele Künstler verwenden Verlan: Chanson-Legende Renaud schaffte 1977 mit dem Lied „Laisse béton“ den Durchbruch – eine Verballhornung von „laisse tomber“ – „Lass es bleiben“.

Und der Bandname der 1985 gegründeten Toulouser Musikgruppe Zebda, deren Mitglieder zum Teil maghrebinischer Herkunft sind, ist das arabische Wort für Butter – beurre auf französisch. Ein Wortspiel mit dem Gebrauch von beur, dem Verlan-Ausdruck für Araber– eine trotzige Justament-Verwendung des ursprünglich negativ gemeinten Ausdrucks, ähnlich der österreichischen „Tschuschen-Kapelle“.

Verlan hat in einem Land wie Frankreich, das von seiner Sprache gerade zu besessen ist, eine starke Symbol-Kraft. Künstler, die Verlan verwenden, haben oft eine politische Botschaft: Sich selbstbewusst zu migrantischen Wurzeln bekennen und gleichzeitig Frankreich als Zuhause beanspruchen.

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