Straßenfotografie in Wien: Einen "Augenblick!" bitte

Zuschauer und Zuschauerinnen beim Pferderennen, 1956
Im Zentrum Ausstellung im MUSA steht der Blick auf die sich verändernde Großstadt und das Leben auf Wiens Straßen von den 1860e-Jahren bis heute. Eine gelungene Zeitreise.

Dass gelungene Ausstellungen zeitlos sind, sieht man derzeit im Wien Museum MUSA. Denn „Augenblick! Straßenfotografie in Wien“, so der Titel der Schau, hätte bereits vor einem Jahr eröffnet werden sollen. Für den Konjunktiv hat – richtig! – Corona gesorgt. Nun ist es aber soweit: Am Donnerstag laden die beiden Kuratoren Anton Holzer und Frauke Kreutler im Auftrag des Wien Museum zu einem Querschnitt durch die Geschichte der Wiener „Street Photography“. Man wolle dabei Wien in seinen unterschiedlichen Phasen, das Alltagsleben in unterschiedlichen Facetten betrachten.

Dazu wurde aus dem Archiv (aus den Beständen des Wien Museums) erst einmal eine Vorauswahl gemacht. Das waren dann immerhin 75.000 (!) Bilder, die gesichtet und aussortiert werden mussten. "Nur" 180 Fotos sind davon übrig geblieben, haben es in die Ausstellung geschafft. Diese Auswahl zu treffen, war "ein sehr schwieriger Prozess", wie Frauke Kreutler im Rahmen einer Pressekonferenz sagte. Matti Bunzl, Direktor des Wien Museum, spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem „Wahnsinnsprojekt“. Zum Glück leiden die beiden Kuratoren nicht an Decidophobie, also an Entscheidungsangst.

Straßenfotografie in Wien: Einen "Augenblick!" bitte

Im Prater, 1957

Fokus auf das Leben auf der Straße

Ausgehend von dem Jahr 1860 bewegt man sich in der Ausstellung Bild für Bild auf die Vor-, Zwischen-, und Nachkriegszeiten zu. Man sieht dabei das rasant wachsende Wien des späten 19. Jahrhunderts, das urbane Umfeld, dass durch das „Rote Wien“ geprägt wurde (und wird), sowie das städtische Trieben, den neuen Glanz des Wirtschaftsaufschwungs und die sich langsam ändernde Stadtentwicklung bzw. Stadtplanung. Man sieht, wie grau, wie trist, wie wenig grün einst Wien war. Dass die Aufnahmen hauptsächlich lange Zeit (bis in die Achzigerjahre) in Schwarz-Weiß gehaltenen sind, verstärkt diese depressive, bedrückende Stimmung.

Das Tempo der Ausstellung ist gemächlich, so wie sich die Stadt auch gerne sieht, sie gesehen werden will. Die Wienerinnen und Wiener erfüllen dann anscheinend auch brav das Klischee der Gemütlichkeit: Denn Schrittgeschwindigkeit in den Straßen Wien, so Anton Holzer, sei in Wien im internationalen Vergleich auffällig langsam.

Fotowettbewerb

Aufgefallen ist dem Kuratorenteam bei der Sichtung der Bilder dann auch, dass Wien zeitig schlafen geht. Wien bei Nacht, war also fotografisch lange Zeit unterbeleuchtet. Das dürfte sich mit dem Smartphone aber geändert haben. Schnappschüsse, die das Wiener Nachtleben mit Farbe befüllen, sollen deshalb ebenfalls ihren Platz in der Ausstellung finden. Und zwar mit Hilfe der Wienerinnen und Wiener selbst.

Bis zum 19. Juni kann nämlich jede und jeder seine eigenen Fotos unter dem Hashtag #Augenblick2022! hochladen und damit am Fotowettbewerb des Wien Museum teilnehmen. Im Mittelpunkt soll dabei die Stadt als Ort der Begegnung stehen. Eine Auswahl der Einsendungen wird dann in der Ausstellung präsentiert. Für die besten drei Bilder gibt es als zusätzliche Auszeichnung einen Katalog und einen hochwertigen Print.

Straßenfotografie in Wien: Einen "Augenblick!" bitte

 Auf der Kärntner Straße, 1950–1965

Augenzwinkernd 

Es gibt wiederkehrende Bilder, die die emotionalen Kernzonen der Wiener Befindlichkeit abbilden: Das Kaffeehaus, den Prater, das Treiben am Markt, Situationen in der Straßenbahn und Momente vor dem Würstelstand. Eines, so die Kuratoren, ziehe sich aber wie ein roter Faden durch die Bilder. Es sei der Zugang zu den ausgewählten Motiven, dieser sei oft augenzwinkernd und ironisch gewesen.

Straßenfotografie in Wien: Einen "Augenblick!" bitte

Ungewöhnlicher Pflanzentransport, 1954

Die Bilder wurden thematisch ausgewählt, in acht Kapitel unterteilt: Von „Unterwegs in der Großstadt“ über "Geschäft und Geschäftigkeit", "Stadt der Frauen, Stadt der Männer" bis hin zu „Vergnügen, Entspannung, Auszeit“. Im Prater der Jahrhundertwende etwa hat der 1938 in Wien gestorbene Emil Mayer das Repertoire der Gesten zwischen Männern und Frauen beobachtet, das Changieren zwischen Annäherung und Distanz.

Neben ikonischen Bildern der Stadt, die entscheidende Augenblicke des urbanen Lebens festhalten, werden zahlreiche noch nie ausgestellte und veröffentlichte Aufnahmen präsentiert, die den Alltag Wiens und das Leben seiner Bewohner auf faszinierende Weise lebendig werden lassen: intime Schnappschüsse und flüchtige Momentaufnahmen des städtischen Lebens.

INFOS: "Augenblick! Straßenfotografie Wien". Noch bis 23. Oktober. Wien Museum MUSA 1010 Wien, Felderstraße 6–8. Dienstag bis Sonntag & Feiertag, 10 bis 18 Uhr. Zur Ausstellung ist auch ein Katalog erschienen. 448 Seiten. Kehrer Verlag. € 39.00

Straßenfotografie in Wien: Einen "Augenblick!" bitte

Blick durch die Otto-Bauer-Gasse (damals Kasernengasse), 1902.

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