Die Hoffnung wohnt bei den Niagarafällen

"Die Chance" von Stewart O’Nan. Wenn zwei um ihr Leben spielen.

Ein Paar am Ende. Die Schulden sind Art und Marion über den Kopf gewachsen, und das bisserl Ehebruch hat Narben hinterlassen. Dreißig Jahre Sticheleien und Missverständnisse liegen hinter ihnen. Er traut sich nicht einmal mehr, sie zu umarmen, weil sie sicher glauben wird, er will sie begrapschen. Was ja auch stimmt.

Doch hier geht nichts mehr. Jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind – Tochter Emma wird bald heiraten – sehen sie sich am Ende ihrer gemeinsamen Reise angekommen.

Bankrott

Ein letztes Mal wollen sie auf ihre Ehe anstoßen und nebenbei im Roulette gewinnen, um ihren Bankrott noch abzuwenden. Und in Niagara gibt es ein neues Casino, ideal für das "Valentinstag-Special": Zwei Nächte um 249 Dollar, einschließlich Mahlzeiten und eines Gutscheins im Wert von fünfzig Dollar für einen Spieltisch. Die Hochzeitssuite soll es sein, so wie damals, als sie frisch verheiratet waren. Im Gepäck haben sie ihr gesamtes Barvermögen, und Art hat noch einen teuren Ring dabei, in der Hoffnung, Marion zurückgewinnen zu können.

Die Hoffnung wohnt bei den Niagarafällen
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Stewart O’Nan erzählt in seinem neuen Roman "Die Chance" davon, wie schmal der Grat zwischen jenen auf der Gewinnerseite und den Verlierern ist. Auf welcher Seite Art und Marion stehen, bleibt lange offen.

O’Nan schildert ein Paar auf ihrem Trip der letzten Hoffnung und erzählt in Rückblenden, was schiefgegangen ist. Dabei sah alles so rosig aus. Anstellung, Familie und ein Eigenheim – das man sich eigentlich nie leisten konnte. Die Hypothek ist nie abbezahlt worden, die neue Küche musste trotzdem sein.

Als Art mit Anfang fünfzig dann gekündigt wurde, war es vorbei. Ein Security-Mitarbeiter hat ihn noch auf den Parkplatz begleitet, um sicherzugehen, dass er das Firmengelände verlässt.

Überschminkt

Stewart O’Nan ist ein Menschenbeobachter, dem kein Detail entgeht. Manchmal wirkt er gnadenlos. Wenn Art sich beim Sex auf die überschminkte Wetterfee aus dem Fernsehen konzentrieren muss. Wenn es beim Konzert der Lieblingsband aus Jugendtagen nur Light-Bier gibt, und das um zehn Dollar pro Becher. Wenn Marion an dem Abend, als Art ihr den teuren Ring übergeben will, Bauchweh bekommt und die Nacht auf der Badezimmermatte verbringt.

Aber obwohl O’Nan die Menschen kennt, ist er nicht unbarmherzig. Vor zwei Jahren beglückte uns der Amerikaner mit "Emily, allein", dem Porträt einer Seniorin mit arthritischem Hund. Emily vergönnte er Hoffnung. Eventuell auch Art und Marion.

KURIER-Wertung:

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