Die Steiermark Schau über Landnahme und Trümmerlandschaften
Man hat den Mund recht voll genommen. Das Land hätte, heißt es in den Presseunterlagen, mit der „Steiermark Schau“ nicht nur ein „neues, großes“, sondern sogar ein „neues, wegweisendes und visionäres Ausstellungsformat“ ins Leben gerufen. Die Vielfalt der Steiermark werde „in einer vierteiligen Schau“ gezeigt, es werde ein Bogen gespannt – von der Vergangenheit des Landes bis in die Zukunft. Diese Nabelschau, vom Joanneum in Graz umgesetzt, ließ sich das Land respektable 8,9 Millionen Euro kosten.
Die Reise führt von „was war“ im Museum für Geschichte über „wie es ist“ im Volkskundemuseum zu „was sein wird“ im Kunsthaus. Zudem gibt es einen mobilen Pavillon: Er steht unter dem Motto „wer wir sind“ und präsentiert auf einer 50 Meter langen, geschwungenen Leinwand Videos, in denen sich Künstler mit steirischen Landschaften auseinandersetzen.
Jeder macht sein Ding
Doch leider: Man bemühte sich nicht um eine große Erzählung. „wie es ist“ sei, liest man beispielsweise, „die neue Ausstellung des Volkskundemuseums“. Es machte also jeder sein Ding. Strategisch wäre es daher sinnvoller gewesen, die Ausstellungen (bis 31. 10.) hintereinander zu eröffnen, statt alle zusammen am Freitag. Denn zumindest zwei hätten sich eine genauere Auseinandersetzung verdient.
Herausragend gelungen ist – von der Präsentation wie auch von der Didaktik her – der Beitrag des Museums für Geschichte unter der Leitung von Bettina Habsburg-Lothringen. Es geht um die Landnahme im Laufe der Jahrtausende, also um die Eingriffe des Menschen in die Natur.
Das Architekturbüro Innocad hat dafür quasi neutrale Räume in die Säle des Palais Herberstein gezimmert und diese mit einer dunklen Fototapete – sie zeigt die steirische Hügellandschaft – ausgekleidet. Immer wieder aber wurden rechteckige Löcher in die Wände geschnitten: Der Besucher erhält Einblicke in die Holzkonstruktion, die Haustechnik, den Lagerraum – und kann zumindest Sichtkontakt mit der Umgebung, der barocken Prunkausstattung, halten. Als Metapher für die Ausstellung selbst fügen sich die herausgetrennten Teile im letzten Raum zu einem Mosaik zusammen.
Man erfährt, wie Dörfer, Burgen, Klöster und Machtzentren entstanden sind, warum Leoben verlegt wurde, welche Auswirkungen die Industrialisierung hatte und so weiter. Allerorts stößt man auf Randbemerkungen, allerorts werden zusätzliche Fragen gestellt, und die Antworten bekommt man, wenn man kleine Mäppchen öffnet.
Im Zentrum aber stehen Unmengen an Architekturmodellen, an denen man sich nicht sattsehen kann, samt Grundrissprojektionen auf den Teppichboden in Anthrazit. Emotional aufgeladen wird die Erzählung von der Spurensuche mit einer Soundinstallation, die immer bedrohlicher wird, je mehr man sich der „Hektomatikwelt“ nähert.
Man würde meinen, dass nun das Volkskundemuseum mit einer gesellschaftspolitischen Analyse der Gegenwart ansetzt. Doch man bekommt zunächst eine eher unkritische Einführung in die Geschichte der Institution. Anlass ist die abgeschlossene Sanierung; der Mief des Austrofaschismus hängt aber weiter in den nun frisch getünchten Räumen. Integriert in die espritlos inszenierte Schau „wie es ist“ (mit viel Anschauungsmaterial zum steirischen Apfel, zum Wandel der Mobilität oder zum Thermenland) ist der in der NS-Zeit eröffnete Trachtensaal mit 42 lebensgroßen Figuren. Au weh.
Spannend hingegen geriet der Blick in die Zukunft: Barbara Steiner kontrastiert Forschungsprojekte und Ansätze, wie mit der Natur ressourcenschonend umgegangen werden sollte, mit künstlerischen Positionen. Da werden Heilsversprechungen gemacht, Dystopien entwickelt. Empfangen wird man von einem gezeichneten Filmstill aus Sonja Gangls Serie „The End“ – in Kombination mit künstlichen Erdplaneten von Manfred Erjautz. Ganz oben, zum Schluss, stößt man auf eine Trümmerlandschaft von Martin Roth; die Natur lässt sich aber nicht unterkriegen.
Geheuchelte Sorge
Die Fülle der vorgestellten Ideen zu ökologischen wie sozialen Problemstellungen beeindruckt. Heuchlerisch ist die Schau trotzdem. Für das Display wurden zwar vorhandene Materialien verwendet und ein ÖBB-Waggon ausgeschlachtet. Und Onur Sönmez montierte eine Photovoltaik-Anlage für die in der Nacht leuchtende Haut der blauen Blase. Aber das Kunsthaus ist per se ein Energiefresser – und verursacht weit höhere Betriebskosten als das ähnlich große Lentos in Linz.
Und der Pavillon von Alexander Kada? Steht einsam und verlassen auf dem Heldenplatz. Bis 18. April sollte er ein Statement der Steiermark in Wien sein. Doch der Lockdown verunmöglicht den Besuch. Mithin wurden 300.000 Euro versenkt. Ab 8. Mai steht er in Hartberg.
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