Stefan Zweigs "Schachnovelle" - fulminant erzählt im Burgtheater
Nein, nicht „nach Stefan Zweig“, wie man vermuten oder erwarten dürfte: Das Burgtheater brachte am Sonntag die „Schachnovelle“ heraus – „von Stefan Zweig“. Und es hatte nicht zu viel versprochen: Nacherzählt wurde tatsächlich die Geschichte, die sich auf dem Ozeandampfer von New York in Richtung Buenos Aires ereignet. Ohne Fremdtexte, ohne Kontextualisierung, ohne Brechungen.
Ensemblemitglied Nils Strunk und Lukas Schrenk, die 2023 mit geradezu unglaublichen Einfällen im Burgtheater-Kasino „Zauberflöte – the opera but not the opera“ realisiert hatten, haben nicht einmal als Garnierung eine Ehefrau dazuerfunden – wie Philipp Stölzl in seiner erfolgreichen Verfilmung aus 2021 mit Oliver Masucci und Birgit Minichmayr. Ja, in dieser erstaunlichen Produktion spielen Frauen, wie in der Vorlage, keine entscheidende Rolle – abgesehen von der Dame im Schachspiel.
Die Umsetzung ist eine liebevolle Kampfansage oder ein überzeugendes Gegenmodell zum brachialen Regietheater. Sie hält, wunderbar altmodisch und ohne Pomp, die Tugenden der Schauspielkunst hoch. Auch wenn sie zunächst eher an eine Musikrevue oder ein Hörspiel erinnert – oder an ein Musical in der Art der Tiger Lillies. Eine vierköpfige Jazz-Band an der Rampe, von Anne Buffetrille als Bordpersonal eingekleidet, begleitet die Abreise nach Argentinien mit Tango und einem Song, der sich durch den ganzen Abend zieht. Schon bald schiebt der Pianist selbst die Kulissen auf die Vorbühne: Die Tafeln mit den Schwarzweiß-Zeichnungen des deutschen Künstlers Herbert Nauderer, im Stil ähnlich zu Robert Longo, dienen Nils Strunk für seine Verwandlungen.
Denn als Ich-Erzähler (und österreichischer Emigrant) verkörpert er en passant alle Figuren: darunter den Schachweltmeister Mirko Czentovic, der von einem Pfarrer aufgezogen wurde und mit dem Wachtmeister des Dorfes seine erste Partie gespielt hatte; den schottischen Tiefbauingenieur McConnor, der ein Spiel riskiert (bei dem er keine Chance hat) und den sonderbaren Dr. B., der als Kiebitz noch ein Remis herausschindet.
Er braucht, um die Identität zu wechseln, bloß ein Requisit, ein lässig umgehängtes Sakko zum Beispiel oder eine Brille mit runden Gläsern. Und er ändert natürlich andauernd seine Stimmlage, er spricht mit slawischem Akzent oder englischem. So ist der knapp zweistündige Abend in gewisser Weise eine fulminante One-Man-Show: ungemein leichtfüßig bis zur Sollbruchstelle in der Mitte (eine echte Pause wäre durchaus denkbar) samt Liegestuhl-Aufstell-Slapstick – und danach äußerst beklemmend, wenn Dr. B. seine Leidensgeschichte als Gefangener der Gestapo ab 1938 im Wiener Hotel Metropole erzählt.
Zwischen den Erzählpassagen, mit angerissenen Melodien oder Geräuschen untermalt (man denkt unweigerlich an Stan Laurel), gibt es auch richtiges Musikkabarett. Etwa, wenn es darum geht, das Durcheinander bei einer Partie Simultanschach in Töne zu übersetzen. Das Repertoire, auf das zurückgegriffen wird, ist erstaunlich: von „Alle meine Entlein“ über die deutsche Hymne bis zu „As Time Goes By“; mal zurückhaltend mit Beserlschlagzeug, mal kreischend mit E-Gitarre.
Wenn Dr. B. von den Nazis verhört wird, imitiert die Posaune im Dialog den enervierenden Fragesteller. Und den Spitalsaufenthalt bringt Nils Strunk als Stand-up-Auftritt mit zugespieltem, aber sehr deprimierendem Lachen. So intensiv wie abwechslungsreich geht es weiter. Und dann folgen Standing Ovations für das Bravourstück. Der Jubel bei der Uraufführung kam aus tiefstem Herzen.
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