Das Wiener Volkstheater: Ein Scheitern roter Kulturpolitik
Wer vor der Jahrtausendwende in dieser Stadt aufwuchs, kennt das Volkstheater als Vorzeigebühne dessen, was die SPÖ, als sie noch rote Kulturpolitik machte, mit Kulturpolitik meinte: Ein Theater, das insbesondere jene an die Bühnenkunst heranführte, die sich in Josefstadt und Burgtheater nicht zu Hause fühlten. Das damalige Gewerkschaftshaus bot große Stücke, Publikumslieblinge und keinerlei Hürden, die den Besuch erschwerten. Das Volkstheater war, nach einer völlig anderen Gründungshistorie, ein Ort der Volksbildung, ein niederschwelliges Einstiegstheater, das für viele ein Lebenstheater wurde. Zuletzt aber setzte man einen gänzlich anderen Kurs.
Bei seiner Bestellung im Juni 2019 bezeichnete Kay Voges das Volkstheater, das er ab dem Herbst 2020 leiten würde, versehentlich als „Volksbühne“ – und korrigierte sich sogleich: Er betonte, das Volkstheater „im Geiste der Volksbühne entwickeln“ zu wollen, für die er sich zuvor erfolglos beworben hatte.
Dem Versprecher lag ein Irrtum zugrunde: Voges, der das Haus nicht kannte, war der Meinung, dass es sich um ein Arbeitertheater handelte. Denn der Eigentümer der Immobilie war der Gewerkschaftsbund (ÖGB).
Doch in Wahrheit war das Volkstheater eine bürgerliche Gründung – und ein Gegenmodell zur Burg, dem kaiserlichen Hoftheater. Am 25. Mai 1886 beschloss ein Verein ein „deutsches Volksschauspielhaus“ mit betont niedrigen Eintrittspreisen zu begründen. Im April 1887 wurde der Entwurf von Baurat Ferdinand Fellner vorgestellt: Das Gebäude musste – aufgrund neuer Bestimmungen nach dem Ringtheaterbrand 1881 – komplett freistehen. Laut Vorgabe wurde das Theater für 2.000 Personen dimensioniert, zu pflegen war „das Trauerspiel, das Schauspiel und das Volksstück, dann das Lustspiel, der Schwank und die Posse“. Bereits am 14. September 1889 fand die Eröffnung statt. Subventionen gab es keine.
Barbarischer Umgang
Im März 1938 übernahmen die Nationalsozialisten die Macht. Sie enteigneten nicht nur Juden sonder Zahl: Das Volkstheater wurde – wie auch das Raimund Theater und andere Institutionen – in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) eingegliedert. Fortan stand riesig „Kraft durch Freude“ auf der Kuppel über dem Foyer. Die Machthaber gingen geradezu barbarisch mit dem Gebäude um: Der Stuck wurde abgeschlagen, der zentrale Luster demontiert, das Deckengemälde übermalt – und im Direktionstrakt richtete man ein „Führerzimmer“ in Nussholz ein (Hitler kam aber nie). Nach dem Untergang des Dritten Reichs ging das Volkstheater in den Besitz des ÖGB über: Dieser hatte sich mehr oder weniger selbst als Verwalter für das verfallene DAF-Vermögen eingesetzt. Und so wurde das Haus zum Hort sozialdemokratischer Kulturpolitik. Die Kleinbürger und Arbeiter besuchten z. B. das Volkstheater in den Bezirken – und wurden einmal pro Saison ins Haupthaus eingeladen. Das war immer ein Fest, man holte dafür die Einserpanier aus dem Schrank.
Das System ging lange gut. Der ÖGB verlor aber mit der Zeit das Interesse, das Volkstheater groß zu unterstützen. Budgetnöte waren die Folge. Emmy Werner, Direktorin von 1988 bis 2005, kam noch über die Runden. Unter ihrem Nachfolger, Michael Schottenberg, traten die Probleme erstmals zutage: Das unterdotierte Volkstheater, nun mit einem roten Stern aus „V“s auf der Kuppel, konnte sich nicht gegen Burgtheater und die Josefstadt behaupten. Die Kulturpolitik musste handeln – und versuchte sich als Totengräber: Man rümpfte die Nase ob des Gedankens, Theater für das Volk zu machen, und bestellte Anna Badora. Deren avancierter, intellektuell überfrachteter Spielplan vertrieb die Abonnenten in Scharen.
Und dann kam Kay Voges. Er versprach viel, kündigte „ein Volkstheater für die digitale Moderne“ an, ein „lustvolles Theater österreichischer Autorinnen und Autoren“, eine enge Verknüpfung mit der Stadtbevölkerung, ein Ensemble aus alten und neuen Kräften. Aber er hielt fast nichts ein. Denn er schickte die Publikumslieblinge in die Wüste, seine Schauspieler konnten nicht einmal „Schnitzel“ richtig aussprechen. Die Zahl der Abonnenten fiel auf unter 1.000. Und obwohl das Haus eine üppige Subventionserhöhung erhalten hatte, machte und macht Voges maximal jeden zweiten Tag auf der großen Bühne Theater. Dabei war der Saal im Zuge der Generalsanierung nochmals verkleinert worden – auf 832 Sitzplätze.
Wenn eine Produktion nicht lief, wurde der Rang gesperrt. Mit dieser Maßnahme konnte eine irgendwie akzeptable Auslastung vorgegaukelt werden. Die mageren Kartenerlöse spielten keine Rolle mehr im Gesamtbudget. Brechend voll war das Haus lediglich beim ImpulsTanz-Festival und den Konzerten.
Für seine brachiale Warnung vor einer FPÖ-Regierungsbeteiligung wurde Voges auch im Standard und im Falter scharf kritisiert. Das tut der KURIER bei Volkstheaterproduktionen bis auf Weiteres nicht mehr: Das Medium war zur Zielscheibe inakzeptabler Anwürfe durch Voges geworden.
Kommentare