Stefan Ruzowitzky: „Freiheit wird mit Eskapismus verwechselt“
Der Regisseur und Oscarpreisträger im Gespräch über Hermann Hesse und seinen Film „Narziss und Goldmund“.
09.03.20, 05:00
von Gabriele Flossmann
Für seine Fans ist Hermann Hesse der Autor des Eigensinns, der Sinnsuche und der Rebellion gegen Autoritäten. Einer, der sich immer wieder gegen die vorherrschenden Meinungen und tradierte Rollenbilder stellte. Für seine Gegner ist Hesse ein rückwärtsgewandter, die private Innerlichkeit zelebrierender Autor, dessen Romane oft bis zur Schmerzgrenze kitschig sind und daher vorwiegend von (spät)pubertären Geistern gelesen werden.
Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – prägte Hesse mit Klassikern wie „Steppenwolf“ und „Das Glasperlenspiel“ die1968er Protestbewegung und zählt mit einer Gesamtauflage von über 150 Millionen Büchern bis heute zu den meistgelesenen deutschsprachigen Autoren weltweit.
Explodierender Nationalismus
Auch im politischen Sinne schieden sich, wenn es um Hermann Hesse ging, immer schon die Geister: Im Zweiten Weltkrieg war er für die Nazis ein „Nestbeschmutzer“, dessen dritte Frau noch dazu Jüdin war. Trotzdem wurde ihm in Deutschland und Österreich nach 1945 ein fehlendes politisches Bewusstsein vorgeworfen.
In Zeiten des explodierenden Nationalismus, der aus Europa zweimal in 30 Jahren zu einem Trümmerfeld machte, nahm Hesse die gegenteilige Position ein: Er war ein Kosmopolit, der für das Miteinander der Kulturen eintrat. „Von 1916 an“, schrieb er einmal, „stand ich vollkommen allein. Für die Patrioten war ich ein Schwein, für die Revolutionäre ein rückständiger Bürgerlicher.“ Sein Credo gegen die Gewalt veranlasste junge Männer in Amerika dazu, während des Vietnamkriegs ihre Wehrpässe zu verbrennen – unter Berufung auf Hermann Hesse.
Heutzutage Hermann Hesse zu verfilmen – dazu gehört also ein gewisser Mut. Und um diesen war der österreichische Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzky ja bekanntlich nie verlegen. Dass er jetzt ausgerechnet Hesses intimsten Roman „Narziss und Goldmund“ ins Kino bringt, ist noch dazu ein Verstoß gegen den Willen des Autors. Denn der Literatur-Nobelpreisträger (1946) hatte es zeitlebens abgelehnt, Verfilmungen seiner Bücher zuzulassen.
Narziss und Goldmund stehen für die Gegensätze in der Persönlichkeit des Autors –wie auch für die des Filmemachers, wie Stefan Ruzowitzky im Kurier-Interview gesteht. Dieser im Mittelalter spielende Roman, der für Hesse das „Ergebnis einer Auseinandersetzung mit 2000 Jahren Christentum und 1000 Jahren deutscher Geschichte“ war, zeigt am Beispiel der Lebensgier des Abenteurers und Künstlers Goldmund und seines asketischen Freundes Narziss die Polarität zwischen Sinnlichkeit und Geist, Phantasie und Verstand und ihre Verbindung in der Kunst.
KURIER: „Narziss und Goldmund“ wurde rund um die 1968er Bewegung vor allem von jungen Menschen viel gelesen. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Hesse-Roman gerade jetzt zu verfilmen? Haben Sie das Gefühl, dass wir gesellschaftlich wieder an einem Punkt angelangt sind, an dem eine politisch-revolutionäre Jugendbewegung angesagt wäre?
Stefan Ruzowitzky: Ich habe natürlich auch diesen Roman als 17-Jähriger zum ersten Mal gelesen und war restlos begeistert. Danach hatte ich eine Hesse-Phase, aber „Narziss und Goldmund“ war auf jeden Fall mein Lieblingsbuch in dieser Zeit. Wenn man dann Jahre später das Angebot bekommt, diesen Roman zu verfilmen, dann überlegt man natürlich nicht lange. Dieses Buch ist eine philosophische Parabel, die auch heute noch ihre Gültigkeit hat. Ob der Stoff 2020 eine ähnliche Brisanz hat, wie in den 1960er Jahren, wird sich zeigen, wenn der Film – hoffentlich – von vielen jungen Menschen gesehen wird. Die Suche nach dem Sinn des Lebens und nach einem gültigen Lebenskonzept, zu dem Hermann Hesse mit diesem Roman anregt, waren natürlich nach dem Zweiten Weltkrieg von existenzieller Bedeutung. Aber ich habe während meiner Arbeit an diesem Stoff erstaunlich viele Menschen kennengelernt, die immer noch regelmäßig „Narziss und Goldmund“ lesen und für die das Buch so etwas wie ein Lebenskompass ist.
Soll man Herz oder Hirn folgen? Ist die Mutter Heilige oder Hure? Diese und ähnliche universelle Fragen wirft Hesse in diesem Roman auf. Wie gehen Sie damit in Ihrer Verfilmung um?
Man muss mit diesen Fragen heute anders umgehen. Der Roman wurde vor 90 Jahren geschrieben und damals herrschte eine repressive Gesellschaft mit einer sehr restriktiven Sexualmoral. Der Ruf nach Freiheit und freier Liebe wurde damals natürlich anders verstanden. Heute geht es in der Auseinandersetzung mit der elterlichen Obhut auch um die persönliche Bequemlichkeit – wie etwa um die Frage, ob und warum man aus dem „Hotel Mama“ ausziehen soll. Und wie steht es um die Sexualmoral, wenn heutzutage schon Volksschüler via Internet Zugriff auf Pornographie haben. Das Wort „Freiheit“ wird heute oft mit Eskapismus verwechselt. Mit dem Drang, dass man überall gewesen sein, jede Party-Droge und jede Sexual-Praktik ausprobiert haben muss. Daher stellt sich für mich eher die Frage, ob es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, wenn sich die Gesellschaft wieder mehr dem asketischen Narziss zuwenden würde. Jenem Teil unseres Seins, der dem intellektuellen Denkprozess mehr abgewinnen kann als der oberflächlichen Zerstreuung.
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat Hesse einmal in der Sendung „Literarisches Quartett“ Hermann Hesse massiv kritisiert. Er warf ihm nicht nur Kitsch vor, sondern auch den Mangel an politischer Haltung. Hesse wäre nicht dezidiert und mutig genug gegen das Nazi-Regime aufgetreten. Wie sehen Sie das?
Das sehe ich anders. Hesse wurde von den Nazis aufgefordert, die Rebecca-Szene aus „Narziss und Goldmund“ zu entfernen. Das hat er verweigert. Diese Szene spielt auch in meinem Film eine wichtige Rolle. Goldmund kommt in ein verbranntes jüdisches Dorf und findet dort ein Mädchen, dessen Familie ermordet wurde. Da assoziiert ein heutiges Publikum sofort den Holocaust und dessen war ich mir auch bewusst. Mir war aber auch wichtig, dass man versteht, was Hesse damit sagen wollte.
„Narziss und Goldmund“ gilt als autobiographisches Werk von Hermann Hesse und dies nicht nur, weil er – ebenso wie seine beiden Protagonisten – Klosterschüler war und darunter gelitten hatte. Narziss und Goldmund verkörpern Hesses eigene Zerrissenheit, ob er seinem Intellekt oder seinen Gefühlen folgen sollte. Wieviel hat nun die Verfilmung dieses Romans mit Ihnen zu tun?
Sehr viel. Ich habe noch nie einen Film gemacht, in dem ich den Figuren so viele eigene Gedanken und eigene Erfahrungen in den Mund gelegt habe, wie in diesem. Besonders zu Themen wie Freundschaft und Kunst. Wenn man genau hinhört, dann merkt man, dass da ein Filmemacher das Drehbuch geschrieben hat. Wie zum Beispiel die Szene, in der Goldmund einen Altar gestaltet. Er geht zu Narziss – so wie ich zum Produzenten – und sagt, dass er mehr Geld braucht. Weil er seinen Altar mit mehr Figuren bevölkern will. So wie ich hat auch Goldmund Ängste, ob das, was er macht, auch gut wird. Und er braucht Zuspruch und Anerkennung von Menschen, die er liebt. So wie ich auch (lacht). Ich habe versucht, möglichst viel Hesse zu bewahren, aber es steckt auch sehr, sehr viel von mir drin – mehr als in den anderen Filmen.
Und steckt in Ihnen mehr vom asketischen Narziss oder mehr vom Lebensüberschwang des Goldmund?
Ich habe das Privileg, dass ich beide Charakterzüge ausleben kann. Wenn ich einen Film drehe und von vielen Menschen umgeben bin, die alle am gemeinsamen Ziel arbeiten, dann fühle ich mich als Goldmund. Mit viel Überschwang, Leidenschaft und Adrenalin. Das Drehbuchschreiben ist dagegen eine sehr verinnerlichte Tätigkeit. Eine Zeit, die man einsam und asketisch verbringt. Ich kann beide Seiten meiner Arbeit voll auskosten.
Hesse wollte nicht, dass seine Bücher verfilmt werden. Hat es da Schwierigkeiten gegeben?
Wir hatten viele Diskussionen mit den Hesse-Erben. Die waren viel strenger als der Suhrkamp-Verlag. Sie haben sehr darauf geachtet, dass alles im Geiste des Großvaters passiert und auch vertraglich wurden einige Änderungen am Drehbuch verlangt. Einige ihrer Forderungen konnte und wollte ich nicht erfüllen. Heftig diskutiert wurde zum Beispiel die Darstellung von Sexualität. Wie diese Szenen gelöst sind, kann man aber nicht nach dem geschriebenen Text beurteilen, sondern erst im fertigen Film. Die Erben haben ihn gesehen und für gut gefunden. Sie haben „ihren“ Hesse darin wiedererkannt. Das hat mich schon sehr gefreut.
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