Zur Erinnerung: NFTs, das sind jene digitalen Zertifikate, die es erlauben, Kunstwerken (und vielem anderem mehr) den Status eines Unikats zuzuschreiben. Auch Bilder, die theoretisch endlos kopierbar sind, werden damit als Rarität handelbar. Viel beachtete Rekordpreise wurden 2021 für NFTs bezahlt, es war „das Jahr, in dem sich das Kunstobjekt dematerialisierte“, schreibt ArtReview.
Die Meldung fiel – wohl nicht zufällig – just in die Zeit, in der in Miami der Ableger der Messe „Art Basel“ nach coronabedingter Pause seine Auferstehung feiert. Sah man auf der Schweizer Stamm-Messe im September eher zögerliche Versuche, so sind NFTs in Miami derzeit voll angesagt – denn die Stadt in Florida positioniert sich Tech-Unternehmern seit Längerem als Standort-Alternative zum Silicon Valley.
Digitale Kunst – jene mit NFT-Zertifikat, aber auch solche, die sich Augmented Reality oder Künstliche Intelligenz zunutze macht – findet also eine neue Käuferschicht. Sie ist laut Art Newspaper zunehmend ein Türöffner für High-End-Galerien, die sich bisher schwertaten, Tech-Milliardären Skulpturen oder Gemälde zu verkaufen. Über die ästhetische Qualität dessen, was nunmehr als Statussymbol einer neuen Elite gehandelt wird, lässt sich übrigens durchaus streiten.
Die Kreativen (so es überhaupt Menschen und nicht Algorithmen sind) firmieren oft unter Pseudonymen oder arbeiten als Kollektiv. Das verbindet sie mit vielen anderen Größen, die ebenfalls im „Power 100“ Ranking aufscheinen: Auf die Gruppe „ruangrupa“ aus Indonesien, die 2022 die Weltkunstschau documenta kuratiert (Platz 3) folgt da als Neueinstieg das „Karrabing Film Collective“ (8), eine Gruppe 30 indigener Filmemacher und einer Theoretikerin aus Australien. Es folgt die Rechercheplattform „Forensic Architecture“, die u. a. Menschenrechtsverletzungen dokumentiert (Platz 19) und – als einziger Eintrag mit Österreichbezug – das Leitungsteam der Kunsthalle Wien, „What, How & For Whom“, auf Platz 89.
Anders als bei der „Art Basel Miami“ geht es in diesem Eck der Kunstwelt weniger um spektakuläre Werke oder spekulative Gewinne – um Status aber sehr wohl. Auch abseits des Geldes bildet die Kunst eine Arena, in der ausgehandelt wird, was eine Gesellschaft für wertvoll erachtet. Die Umwertung ist voll in Gang: Weg von westlicher Zentriertheit, weg von männlicher Dominanz, weg von der Ausgrenzung von LGBT+-Personen. Aber auch: weg vom Individualismus.
Nachdem die Prämierten des wichtigsten britischen Kunstpreises, des Turner Prize, Nachdem die Prämierten des wichtigsten britischen Kunstpreises, des Turner Prize, bei der letzten Ausgabe 2019 beschlossen hatten, die Jurywertung zu ignorieren und sich den Preis gemeinschaftlich zu teilen, nominierte man heuer überhaupt nur mehr Kollektive für die Auszeichnung. Das Rennen machte am Mittwochabend das aktivistische „Array Collective“ aus Belfast: Seine Werke umfassen u. a. denNachbau eines Irish Pubs, in dem Botschaften gegen die Kriminalisierung von Abtreibungen platziert sind.
Wer der Idee anhängt, dass Kunst ein Produkt individueller Entfaltung sei, läuft 2021 Gefahr, ziemlich alt auszusehen. Angesichts einer Situation, in der Corona oder Klimakrise nur gemeinschaftlich zu meistern sind, ist auch die Kunst ein Produkt ihrer Zeit. Wobei sich Zeiten bekanntlich wieder ändern.
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