Sophie Thun zeigt und versteckt sich in der Secession

Sophie Thun zeigt und versteckt sich in der Secession
Die Künstlerin lässt sich bis 21.6. bei der Arbeit zusehen - doch ihr Projekt ist raffinierter als ein bloßer Kunst-Webcast

Mal erleuchtet nur gedämpftes Rotlicht den Raum, dann ist er wieder taghell. Rund um die Uhr ist eine Webcam auf das grafische Kabinett in der Wiener Secession gerichtet, in dem sich Sophie Thun eine Dunkelkammer eingerichtet hat. Untertags kann man der Künstlerin live bei der Arbeit zusehen, doch den Raum zu betreten ist unmöglich – die Secession bleibt bis 16. Juni für Publikum geschlossen.

Thuns bis 21. Juni anberaumte „Ausstellung“ erscheint zunächst wie eine Reaktion auf die coronabedingte Isolation und Abschottung der Kunst von ihrem Publikum. Tatsächlich ist die Aktion aber nur ein logischer weiterer Punkt in einem Werkkomplex, in dem es immer wieder ums Zeigen und Verstecken und um das Verhältnis des Sichtbaren zum Unsichtbaren geht.

Analog, mit Webcam

Dabei nützt die 1985 geborene Künstlerin, die ursprünglich bei Daniel Richter an der Wiener Akademie Malerei studierte, ausschließlich analoge, fotografische Methoden. „Die Idee, auch meine Dunkelkammer in die Arbeit einzubringen, hatte ich schon lange, aber ich wusste nie, wie das mit Besucherinnen funktionieren könnte“ sagt Thun am Telefon, nachdem der Redakteur vorher via Webcam ihre Erreichbarkeit geprüft hat. „Als die Situation mit Corona kam, dachte ich: das muss ich unbedingt machen.“

Intime Leerstellen

Thuns ursprüngliches Projekt, mit dem sie sich 2019 erfolgreich für ein Arbeitsstipendium der deutschen DZ Bank beworben hatte, kam noch ohne Webcam aus: Ihr erklärtes Ziel war es schlicht, alle Gegenstände aus ihrer Wohnung in der Wiener Stolberggasse, die auf das Format 8 mal 10 Zoll passen, als Fotogramm abzulichten.

Bei diesem Verfahren, einer „Fotografie ohne Kamera“, wird das Objekt auf eine lichtempfindliche Oberfläche gelegt, sichtbar bleibt ein Abdruck im Maßstab 1 : 1. „Ein Fotogramm ist ein Bild von etwas, das fehlt“, sagt Thun, die sich ein Pensum von 10 Bildern pro Tag vorgenommen hat – insgesamt 600 Werke sollen es werden. „Es ist auch wahnsinnig peinlich – ich nehme gnadenlos jeden Gegenstand, auch Sexspielzeuge, einfach alles. Das passt für mich zu dieser Voyeurismus-Situation“, sagt Thun, die die Arbeit als „mein erstes Selbstporträt“ bezeichnet.

Wer frühere Arbeiten Thuns kennt, in denen die Künstlerin sich mit Selbstauslöser in teils pornografisch anmutenden Posen ablichtete und durch Überblendungen und Montagen Sexszenen mit ihrem eigenen Abbild inszenierte, mag von dieser Eigendefinition überrascht sein – „doch ich sehe diese früheren Arbeiten nicht als Selbstporträt, ich verwende einfach mich selbst als Material“, sagt Thun.

Sophie Thun zeigt und versteckt sich in der Secession

Sagen Sie nicht Selfie dazu

Auch zur Selfie-Kultur und der Selbststilisierung in sozialen Medien hat die Künstlerin nach eigenem Bekunden wenig Bezug. Ihre „ultra-analoge“ Arbeitsweise, in der die Übersetzung der Aufnahme auf ein Bildmaterial wichtiger ist als der Akt des Fotografierens, bildet in vielem eine Antithese zur Welt der digitalen Filter und Effekte, die Alltagsfotografie heute bestimmen. Mit visuellen Verwirrspielen der Kunstgeschichte – Thun nennt Diego Velázquez’ Bild „Las Meninas“ als Beispiel – habe sie sich mehr befasst, sagt die Künstlerin, die sich selbstironisch als „Nerd“ zwischen der Foto- und Malereiwelt platziert.

Tatsächlich ist das Arrangement in der Wiener Secession vertrackter, als es die Webcam deutlich macht: So hat die Dunkelkammer scheinbar Fenster, die tatsächlich aber fotografische Abzüge im Maßstab 1:1 sind. Der scheinbare „Ausblick“ entspricht nicht jenem, der durch die dahinterliegenden (und derzeit verdunkelten) Fenster zu sehen wäre, sondern gibt den Blick von der anderen Gebäudeseite wieder.

Sophie Thun zeigt und versteckt sich in der Secession

Der Aufgang zum Kabinett wiederum ist genau dem Stiegenhaus von Thuns Gründerzeit-Wohnhaus nachempfunden; die Künstlerin verlässt jeden Tag ihr Haus, um dann in die Replik desselben einzutreten. „Ich erlebe hier den totalen Zeitstillstand“, sagt Thun, die ihre Webcam-Aktion nicht als „Performance“ im üblichen Sinn sieht: Ihr Tag, sagt sie, sei einfach von den Notwendigkeiten des Belichtens und Entwickelns getaktet.

Was ist also echt? Sind manche Bilder echter als andere? Was ist sichtbar, was bleibt der Imagination überlassen? Am Ende werden nur Thuns Fotogramme, die derzeit eher unkenntlich im Live-Stream auftauchen, als greifbare Bilder übrig bleiben. Die elaborierte Dunkelkammer soll nach dem Willen der Künstlerin auch nach der Wiedereröffnung der Secession nicht zugänglich sein. „Ich finde es gut, dass die Ausstellung für alle gleich zu sehen ist“, sagt sie.

Sophie Thun zeigt und versteckt sich in der Secession

INFO

Sophie Thuns Projekt „Stolberggasse“ läuft noch bis 21. Juni auf secession.at. Am Freitag, den 22.5., findet um 19 Uhr ein Live-Talk mit Secessions-Präsident Herwig Kempinger und der Künstlerin statt. Am Donnerstag, 28. Mai 2020, spricht die Künstlerin um 19 Uhr mit Silvie Aigner (Chefredakteurin Kunstmagazin Parnass) und Annette Südbeck (Kuratorin). Der Publikumsbetrieb der Secession startet wieder am 16. Juni.

Kommentare