Wie aus peinlich cool wurde

Es ist kurios, wie manche Dinge ihre Bedeutung verändern. In den Achtzigerjahren galt Johnny Cash als Relikt, als Country-Schnulzist mit Stich ins Brachialreligiöse, als etwas, das vor Jahrzehnten einmal jemand vergessen hatte und das seither nicht abgeholt worden war. Zehn Jahre später war Johnny Cash mindestens ein Halbgott. Udo Jürgens, Peter Rapp, James Last, Karel Gott, Dagmar Koller: Waren alle einmal das Gegenteil von "cool", werden aber heute in den Medien als "Ikonen" bezeichnet. Wie aus sicherer Quelle verlautet, steht sogar Peter Maffay knapp davor, in den Kultstatus erhoben zu werden.

Ähnlich war es mit dem ESC. Ursprünglich hieß er prägnant "Grand Prix de l’ eurovision de la chanson" und wurde furchtbar ernst genommen. "Interpreten" in schattigen Anzügen sangen mit schattiger Stimme ungemein schattige Lieder, die sich alle so anhörten, als wären ihre Texte auf Französisch geschrieben und notdürftig in die jeweilige Landessprache übersetzt worden. Nach ABBA wurde der Bewerb zum Tralala-Popfestival, er hieß jetzt Song Contest, es gewannen immer sogenannte "Happy Songs", die Titel trugen wie "Diggy Loo Diggy Ley" und genau so klangen. Alle fünf Jahre durfte eine sogenannte "Ballade" gewinnen, bei deren Ausführung die Sängerin stets die linke Hand anklagend gen Himmel zu erheben hatte. Einen Vorgeschmack auf spätere Zeiten bot die deutsche Gruppe Dschinghis Khan mit der radikal-politischen Textzeile "Lasst uns Wodka holen/denn wir sind Mongolen". Danach wurde der Contest für lange, bleierne Jahre sehr fad und ununterbrochen von Irland gewonnen, bis er sich als seine eigene Parodie (Stefan Raab! Guildo! Lordi! Alf Poier!) selbst verhöhnte.

Danach hätte man sagen können: Gut, lassen wir es bleiben, der letzte lässt das Licht brennen, weil es auch schon egal ist. Aber da passierte etwas völlig Unerwartetes: Auch unter dem Einfluss der neu hinzugekommenen Länder Osteuropas, die den Bewerb gar nicht lächerlich fanden, bekam er die zweite Luft, wie man beim Fußball sagt. Heute heißt er ESC und gilt als beinahe heilige Handlung, die dafür sorgt, dass Frieden, Toleranz und doppelte Ampelmännchen vom Himmel regnen.

Diesmal gewinnt übrigens Schweden, es sei denn, Australien oder Finnland sammeln die Sympathien ab, oder die Voter einigen sich auf die drei Krawattltenöre aus Italien.

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