Tatsache ist aber auch: Der Titel „Stefania“, in dem Sänger Oleh Psiuk an seine Mutter (und an den Krieg) erinnert, ist wieder einmal ein überaus origineller Beitrag aus der Ukraine. Weltmusik trifft auf Rap und milden Wahnsinn, manchmal fühlt man sich an Jovanotti erinnert, wäre der als Ukrainer wiedergeboren. Ein anderer Bezugspunkt: Die amerikanisch-armenische Metal-Band System Of A Down, nur ohne Gitarren.
Für Aulophobe ist das Lied nichts, denn eine Flöte mischt sich rüde ein (spielt aber immerhin nicht „Stille Nacht“). Dazu gibt es Breakdance, jemand hat einen rosa Topf auf dem Kopf, ein anderer sieht aus wie eine wandelnde Autowaschanlage in den Farben Jamaikas. Fazit: Das Lied ist nicht nur angenehm, fräst sich aber nachdrücklich ins Hirn.
Weltschmerz
Der ukrainische Beitrag war zudem völlig gegen den heurigen Trend programmiert: Selten gab es bei einem Song-Contest so viel Sudern, Heulen und Zähneklappern, vor allem von Männern. Gut die Hälfte der Lieder befassten sich mit angewandter Jammerlapperei. Etwa die viertplatzierten Schweden: Eine Familienpackung Weltschmerz im Barfußpop-Format. Oder der Australier mit seinem Gesichtsvorhang aus der Badezimmerabteilung des Ikea Brisbane, der Mann in der eisernen FFP2-Maske.
Ebenfalls große Heulsusen: Der von Algen-Geistern gepeinigte Pole, der ohne Scheibenwischer im Regen steht und deshalb weinen muss. Die Ein-Personen-Paartherapie aus Aserbaidschan. Die holländische Nabenbeschau im Lichtturm. Der im Stehen absolvierte Sitzkreis aus Portugal. Oder die aus einem Mann bestehende Selbsthilfegruppe aus der Schweiz.
Platz zwei holte letztlich Großbritannien: Der „letzte Bulle“, aber mit hoher Stimme. Platz drei ging an Spanien, mit einem Nicole-Scherzinger-Double, deren Beitrag aussah wie das Bewerbungsvideo für einen Stierkampf-Porno. Irritierend das Wechselspiel mit Rumänien: Die sangen ebenfalls auf Spanisch und orientierten sich auch Richtung Erwachsenenunterhaltung.
Handwaschung
Erfrischend anders waren Moldau mit einem Polka-Punk-Beitrag für die nicht existierenden Skihütten von Chinisau; die gelben Bananenwölfe aus Norwegen; die Mittelalter-Techno-Walpurgisnacht aus Frankreich; und die serbische Handwaschungshymne mit Handtuch-Mönchen.
Kurios war auch der Abschluss: Die estnische Antwort auf eine Frage, die Johnny Cash nie gestellt hat – „Ghost Riders“ ohne Geister und Reiter.
Deutschland Letzter
Was ist sonst noch zu vermelden? Deutschland wurde Letzter. Russische Hacker versuchten erfolglos, den Bewerb zu stören.
Österreich vergab übrigens zwölf Jury-Punkte an England und hatte beim Voting die Ukraine vorne.
Und die Show in Turin sah manchmal ein wenig nach Kerosin-Einlauf aus, war aber wirklich großartig, bunt, fröhlich.
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