Siegfried Unseld: Er publizierte Autoren, keine Bücher

Suhrkamp Verlags-Haus in Frankfurt: 1983 liest Rainald Goetz aus seinem Debüt „Irre“, Unseld sitzt auf der Sessellehne.
Seine Biografie ist ein Abriss deutscher Gegenwartsliteratur – samt Familien- und Verlagszores.

Lieber Peter Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen. (....)

Über Einzelheiten müsse man noch reden, schreibt Verleger Siegfried Unseld, in dem Manuskript befänden sich "Austriazismen und auch einige umständliche Formulierungen". Man redete, einigte sich. Wenig später erschien "Die Hornissen", bald darauf "Die Publikumsbeschimpfung" bei Suhrkamp.

Siegfried Unseld: Er publizierte Autoren, keine Bücher
suhrkamp
Ein vergilbter Brief vom 10. August 1965, adressiert an den damals noch in Kärnten lebenden Autor Peter Handke, ist Zeuge einer der wichtigsten Entdeckungen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Und beschreibt auf einen Blick, wer Siegfried Unseld, der fast ein halbes Jahrhundert das legendäre Frankfurter Verlagshaus Suhrkamp leitete, war. Nämlich das Idealbild eines Verlegers: ein Ermöglicher.

Autoren wie Handke, Martin Walser oder Uwe Johnson wurden von ihm entdeckt und lange vor ihrem Durchbruch gefördert. Auf die Frage, wie der Suhrkamp Verlag zu charakterisieren sei, pflegte Unseld zu antworten: "Hier werden keine Bücher publiziert, sondern Autoren."

Der junge Hund

Siegfried Unseld: Er publizierte Autoren, keine Bücher
suhrkamp
Siegfried Unseld, am 28. September 1924 in Ulm geboren und am 26. Oktober 2002 in Frankfurt am Main gestorben. Sohn eines Verwaltungsangestellten, im Krieg Marinefunker, später Verlagskaufmann. Erst durch Hilfe eines Professors durfte er an der Universität Tübingen studieren (sein Notendurchschnitt hatte nicht gereicht): Unter anderem Germanistik, Philosophie und Sinologie. Dass er mit Hermann Hesse einen noch lebenden Autor als Thema seiner Dissertation wählte, war damals unüblich. Auf Hesses Vermittlung bewarb er sich als Mitarbeiter des nach Peter Suhrkamp benannten Verlags. Suhrkamp soll Unseld später als seinen Nachfolger mit den Worten "junger Hund" vorgestellt haben.

Nach Suhrkamps Tod leitete Unseld mit Beginn der Sechziger eine Modernisierung in die Wege, die den Zeitgeist widerspiegelte. Zu den Publikationen gehörten die Schriften der "Frankfurter Schule", also u. a. der Philosophen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse, aber auch Debattenbücher zur Durchsetzung aufklärerischer Positionen wie die im Geist der 68er gegründete regenbogenfarbene "Edition Suhrkamp".

Der Charismatiker

Schlicht "Unseld" heißt das 335 hochformatige Seiten dicke Buch, das die langjährigen Suhrkamp-Mitarbeiter Raimund Fellinger und Matthias Reiner nun anlässlich seines 90. Geburtstages herausgegeben haben. Am Cover prangt ein großes schwarz-weiß Foto des charismatischen Verlegers. "Ein Leben in Bildern und Texten", versprechen die Herausgeber. Doch entgegen seiner äußeren Anmutung ist der schwere Band keine schwärmerische Biografie, sondern ein spannender Abriss deutscher Gegenwartsliteratur und Nachkriegsgeschichte in Form von Zitaten, Zeitungsausschnitten, persönlichen Aufzeichnungen und Fotos – Dokumente, die große und kleine, aber stets aufschlussreiche Momente im Werden des linken Verlags schildern.

Siegfried Unseld: Er publizierte Autoren, keine Bücher
suhrkamp
Da ist etwa jenes Gesicht, das Thomas Bernhard anlässlich der Verleihung des Büchner-Preises macht – trotzig wie bei den meisten Preis-Verleihungen. Er konnte allerdings auch anders: Trotz vieler Meinungsverschiedenheiten beschied Bernhard Unseld: "Wenn Shakespeare der größte Dichter und Minetti der größte Schauspieler, dann ist Unseld der größte Verleger."

Dann sind da die Korrespondenzen mit Amoz Oz; die ersten Rezensionen, die Unseld über Max Frisch schrieb und die Briefe, mit denen Unseld Ingeborg Bachmann ermutigte, zu Suhrkamp zu kommen.

Da sind Bilder der Studentenrevolte, die bei der Frankfurter Buchmesse ’68 ihre Spuren hinterließ. Und die Erinnerungen an "Literaturskandale" wie Bernhards "Holzfällen" oder Walsers "Tod eines Kritikers". Frank Schirrmacher lehnte damals einen Vorabdruck in der FAZ ab. Für das vorliegende Unseld-Buch hätte er das Vorwort schreiben sollen. Er starb zu früh.

Die Konflikte

Siegfried Unseld: Er publizierte Autoren, keine Bücher
cover
Auch Kritisches wie der Konflikt zwischen Unseld und Lektoren des Suhrkamp-Verlages von 1968 und das Zerwürfnis Unselds mit seinem Sohn Joachim kommen vor. Abgedruckt ist auch eine "Anti-Laudatio" des Stern, der ihn als "Herr der linken Dichter", der mit "sozialistischen Autoren" sein Geld mache," beschrieb. Auch der aktuelle Konflikt (siehe unten) wird angedeutet. Der letzte Gruß Unselds an seine Mitarbeiter: Sie mögen seiner Frau Ulla den Rücken stärken.

Seit Jahren tobt bei Suhrkamp ein Machtkampf der Gesellschafter. Ulla Unseld-Berkéwicz, Siegfried Unselds Witwe und Verlagschefin seit 2003, matcht sich mit Minderheits-Eigner Hans Barlach, die beiden haben einander mehrfach verklagt. Im

Mai 2013 meldete der Verlag überraschend Insolvenz an, Unseld-Berkéwicz legte ein Sanierungskonzept vor, das Barlach entmachten sollte, das der Deutsche Bundesgerichtshof nun jedoch heftig kritisierte.

Kommentare