Margot Pilz ist 1,65 Meter groß. Das ist insofern relevant, als eines ihrer Hauptwerke, die Fotoserie „Die weiße Zelle“, an diesem Maß ausgerichtet war: In ihrem Atelier stellte sich die Künstlerin 1983 weiße Wände auf, 1,65 mal 1,65 Meter groß, und inszenierte davor sich selbst und andere vor einer Kamera.
Die Wände wurden zu einer Gefängniszelle, dann wieder, an die Arme der Künstlerin geschnallt, zu „schweren Flügeln“, die zur Seite geschoben werden wollten. Ein anderes Mal bildeten sie Kulissen für kleine Dramen der Zweisamkeit.
Ein Motiv aus der Serie ziert den Einband von Pilz’ jüngst erschienener Biografie: Die Künstlerin spreizt sich darin gegen die Wände, „nimmt sich den Raum“, wie der Kurator Andreas Hoffer sagt. Das Motiv taucht am Start der umfassenden Schau in der Kunsthalle Krems, in überarbeiteter Form auf: Die Pose der Künstlerin ist darin, nach Art des „vitruvianischen Menschen“ von Leonardo da Vinci, einem Kreis und einem Quadrat eingeschrieben.
Raumfüllend
Margot Pilz nimmt sich den Raum – auch jenen der Kunsthalle Krems, der nicht so ohne Weiteres von einer einzelnen Person bespielt werden kann, nun aber zu einem in keinem Moment langweiligen Parcours gestaltet wurde.
Dass die im Lauf der Pandemie mehrmals redimensionierte Schau funktioniert, hat gewiss mit dem Selbstbewusstsein der 85-Jährigen zu tun, die auch im direkten Gegenüber eine einnehmende, charismatische Persönlichkeit ist. Es liegt aber auch an der Effizienz und Präzision, mit der Pilz, im Kern eine Medienkünstlerin, mit bildnerischen Formen agiert.
Wenngleich „Margot Pilz – Selbstauslöserin“ keine Retrospektive im engeren Sinn ist, hebt die Schau doch mit „Klassikern“ an: Insbesondere ist es die Serie aus dem Jahr 1978, in der Pilz ihre eigenen geballten Fäuste und einen zerknüllten Mantel fotografierte. Die Bilder waren eine Reaktion auf einen Vorfall, bei der Pilz nach der Teilnahme bei einem Frauenfest von Zivilpolizisten abgeführt worden war und männliches Dominanzgebaren am eigenen Leib zu spüren bekam.
Feministische Anliegen ziehen sich spätestens ab diesem Zeitpunkt durch Pilz’ Werk – doch sie sind nicht der Fokus der Kremser Schau. Sie kehrt eher die formale Brillanz ihrer Arbeiten hervor, außerdem ihre Virtuosität im Gebrauch starker symbolischen Werkzeuge.
Alte Meisterin
Der Leonardo-Mann ist nur eine von vielen Formeln, die Pilz leichtfüßig zitiert und abwandelt: Erst wenige Tage vor Fertigstellung der Ausstellung kam die Künstlerin auf die Idee, auf einem Podest im zentralen Saal erneut zu posieren – sie nahm dabei jene abwehrende Haltung ein, die in Altmeister-Gemälden oft zu sehen ist, wenn jemandem Gewalt widerfährt.
Extra für die Schau entstand schließlich die Arbeit „Göttin erschafft Eva“, in der die Szene der Erschaffung Adams aus Sixtinischen Kapelle (diesen Raum nimmt sie sich also auch noch!) gendermäßig umgepolt und in Neon-Linien wiedergegeben ist. Dazu kommen noch Bilder, die Pilz mit ihrem Lebensgefährten in Art einer Pietà (Szene, in der Jesus nach der Kreuzabnahme von Maria beweint wird) zeigen.
Die Praxis, Formen immer wieder zu aktualisieren, wendet Pilz auch auf ihr eigenes Werk an: Nicht nur Selbstdarstellungen wiederholte sie nach Jahrzehnten, auch die Aktion „Kaorle am Karlsplatz“ – bei der Pilz 1982 das Areal vor der Wiener Karlskirche in einen Strand verwandelte – erfährt in Krems ein Echo. Nun steht allerdings eine Palme allein im großen Saal da, der Sand rundherum ist mit Plastik-Granulat verunreinigt.
Schweres wird leicht
Umweltzerstörung gehört ebenso wie Alter, Tod und Gewalt zu den ernsten Themen, die Pilz in ihrem Werk immer wieder aufgriff – ein Saal mit Videoskulpturen der 1990er zeigt in Krems auch, wie Künstlerin ständig neue Ausdrucksmittel probierte.
Um die Jahrtausendwende fing Pilz auch zu töpfern an. Ihre Keramiken sind aber nur vordergründig harmlos. Nach japanischen Vorbildern gestaltet, erinnern sie an die Kindheit der Künstlerin, die als Kind holländischer Eltern auf Java aufwuchs und nach der Eroberung Indonesiens durch die Japaner drei Jahre mit ihrer Mutter in einem Internierungslager verbrachte. Danach kam der Mutter nichts Japanisches mehr ins Haus, erzählt Pilz.
Sie selbst entdeckte dagegen die Kunst – und ihren Reichtum an Möglichkeiten, für alles, das Gute wie das Traumatische, eine Form zu finden. Es ist eine tröstliche, stärkende Botschaft, mit der man diese wunderbare Ausstellung verlässt.
„Margot Pilz. Selbstauslöserin“ ist bis 3. 4. 2022 in der Kunsthalle Krems zu sehen. Parallel ist die Künstlerin in den Ausstellungen „Female Sensibility“ (Lentos Linz, bis 9. 1. 2022) und „Avantgarde und Gegenwart“ (Belvedere 21, bis 19. 2. 2023) vertreten.
Noch bis 13.11. zeigt die Galerie 3 in Klagenfurt „Sassy Sequences“, Pilz’ bislang umfassendste Solo-
Galerieausstellung. Von 6. 11. – 11. 12. sind einige Werke neben Arbeiten von Violetta Ehnsperg am Wildpretmarkt 3, 1010 Wien, ausgestellt.
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