„Kaorle am Karlsplatz“ ist bis heute ein Lieblingsprojekt von Pilz – doch sie genießt auch die Aufmerksamkeit, die der Rest ihres umfassenden, über fünf Jahrzehnte entstandenen Werks nach und nach bekommt: Neben Fotografie und Aktionen im öffentlichen Raum gehören dazu auch Medienskulpturen (das 1998 entstandene Werk „U-Turn“ in der U3-Endstation Ottakring sehen täglich hunderte Menschen) und wegweisende digitale Kunstprojekte: „Delphi Digital“, mit Studierenden der TU Wien für die Linzer Ars Electronica geschaffen, ließ User etwa an einem solarbetriebenen Terminal Fragen zu Umweltthemen stellen und von einem Netzwerk von Chat-Gruppen beantworten. Das war 1991, lange bevor irgendjemand von „Crowdsourcing“ sprach.
Die neue Biografie der Journalistin Nina Schedlmayer bindet nun all dies an eine Geschichte an, die weit über den Kunstkontext hinausweist. Denn an Pilz’ Leben kristallisieren sich verschiedenste Ausformungen der Repression; ihre Erfahrungen zeigen beispielhaft die Gesellschaft Nachkriegsösterreichs und die Selbstverständlichkeit, mit der machtvolle Männer darin über Frauen „drüberfuhren“.
Der KURIER hat in der Geschichte einen Gastauftritt: 1967 porträtierte die Zeitung Pilz als brave Hausfrau, die Lebkuchen buk – Ideen zur Gestaltung des Gebäcks lieferten laut dem Bericht allerdings ihr Sohn Sebastian und ihr Mann Fritz (1927 – 2016). Er war selbst Bildhauer und Schüler von Fritz Wotruba. Mit ihm führte Margot Pilz eine lange, aber durchaus unkonventionelle und für zahlreiche „Nebengleise“ offene Beziehung.
„Den KURIER-Text hat damals eine Frau geschrieben“, erinnert sich die Künstlerin. „Sie hat mir dann tatsächlich gesagt: ,Margot, du hast viel mehr Talent als dein Mann.’ Das hat mir – nichts wollend, Hausfrau noch, Fotografin zwar, aber mit Kind – einen Schreck eingejagt“.
"Lassen Sie Ihre Aggressionen nicht an uns Frauen aus"
Die Initialzündung für Pilz’ künstlerische Eigenständigkeit ereignete sich jedoch erst später, 1978 – durch einen Akt der Repression. Bei einem Frauenfest im 6. Wiener Bezirk stellte sich die damals 42-Jährige drei Zivilpolizisten entgegen, die die Veranstaltung auflösen wollten. „Ich hab’ einen Satz gesagt, der ihnen nicht gepasst hat: ,Lassen Sie Ihre Aggressionen nicht an uns Frauen aus’“, erinnert sie sich. Pilz wurde abgeführt, nur ein zufällig vorbeikommender vierter Polizist verhinderte, dass die Zivilpolizisten – „junge Männer, mit Bürstenschnitt und Hubertusmantel verkleidet“ – sie in ein Auto drängten. „Aber es gab Anzeigen, Anzeigen, Anzeigen.“
Auf Anraten eines befreundeten Anwalts holte Pilz sich die Protokolle des Vorfalls, in denen sich die Beteiligten in viele Widersprüche verstrickten. „Ich hab’ das dann vergrößert und hab’ mich selbst fotografiert, weil ich so eine Wut gehabt hab’, so ohnmächtig war“, sagt Pilz. „Ich wollte einfach wissen, wie schaut das aus, wer ist das, wer bin ich? Ich hab mich selbst gesucht.“
Die Fotos, die damals entstanden, sind heute Ikonen der feministischen Kunst – „Sekundenskulpturen“ zeigen Pilz als Eingeschnürte, in einer anderen Serie fokussierte sie auf versteckt geballte Fäuste, in „Die Weiße Zelle“ quetschte sich die Künstlerin in einen viel zu engen Raum.
„Ja, das war schon sehr arg“, sagt Pilz, die die Details der Polizei-Episode gut im Gedächtnis hat. „Aber es ist auch das Lager herausgekommen. Plötzlich waren da Männer, die Macht zeigen und grob sind. Und das waren die Japaner ja sowieso.“
Das Lager: Es ist die Geschichte von Pilz’ Kindheit, die sie selbst erst 2014 künstlerisch aufarbeitete. Geboren wurde Pilz 1936 nämlich als Margot ter Heege in den Niederlanden. 1938 übersiedelte die Familie nach Java, damals noch Kolonie. Die Machtübernahme der Japaner 1942 riss die Familie aus ihrer bequemen Existenz. Bis 1945 lebte Pilz mit ihrer Mutter in einem Internierungslager.
Die Künstlerin hebt die Vorbildrolle ihrer Mutter zu jener Zeit hervor. Biografin Schedlmayer führt vieles von dem, was Pilz als Künstlerin und als Person ausmacht, auch auf die Gemeinschaftserfahrung zurück: „Im Lager zeigt sich, dass weibliche Solidarität vor männlicher Bedrohung schützen, dass eine Gemeinschaft sich wehren kann“, schreibt sie.
Tatsächlich ist der Geist der Kollaboration bei Pilz überall zu bemerken – ob sie nun das „Abendmahl“ des Barockmalers Kremser Schmidt mit Frauen und Kindern nachstellte (1979) oder als Lehrende der TU Wien mit Studierenden Filme drehte (1990 – ’92); ob sie 1981 beim Kaffeeröster Eduscho Frauen und Männer nach ihren (ungleichen) Einkommensverhältnissen befragte oder im Jahr darauf zu „Kaorle am Karlsplatz“ einlud.
Die Bilder von Polizisten, die jüngst mit schwerem Gerät anrückten, um feiernde Jugendliche von eben jenem Platz zu vertreiben, hat Pilz mit einigem Befremden wahrgenommen. „Bei mir war Tag und Nacht Fest – es war positiv, einfach positiv“, sagt sie. Ich weiß nicht, ob Kaorle heute hätte stattfinden können.“
Was jedenfalls stattfindet, ist ein Ausstellungsreigen: Bis 29. August zeigt die Gruppenschau „(k)ein Mensch ist eine Insel“ im Wiener Künstlerhaus ältere und neuere Werke, die Kunsthalle Krems widmet Pilz ab 23.10. eine große Ausstellung. Die Klagenfurter Galerie 3, die sich seit einigen Jahren intensiv um Pilz’ Werk kümmert, widmet ihr im Herbst eine Solo-Schau. Für Krems sind auch ganz neue Arbeiten geplant, es soll darin um die katholische Kirche gehen, wie Pilz ein wenig geheimniskrämerisch verrät.
„Ich hab’ ja diese wunderschöne Schau zu Beethoven im KHM gesehen und gedacht: Wir müssen auch so eine ganz ruhige, coole Ausstellung machen, mit ganz wenigen Sachen“, erklärt Pilz. „Aber es geht ned. Ich hab’ zu viel. Zu viel Kreativität, zu viele Gedanken.“
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