Das Re-Branding der Kunst
"Secessionen", so der Titel der Schau, weist auf den Mehrzahl-Charakter jener Bewegungen hin, die man in Wien vor allem mit einer Künstlervereinigung und dem Gebäude mit dem "Krauthappel" am Naschmarkt verbindet. Tatsächlich war die Ausgangslage in Städten wie München, Wien und Berlin - auf die sich die Schau konzentriert - ähnlich: Die Kunst war rückwärtsgewandt geworden, die Präsentation und der Verkauf von Werken lag in den Händen einiger weniger Verbände, die ihren lokalen Markt aber weitgehend gesättigt hatten. Eine Internationalisierung und Ausweitung des Interessentenkreises war also auch eine ökonomische Notwendigkeit.
Die neu gegründeten Secessionen - ab 1892 in München, ab 1897 in Wien, ab 1899 auch in Berlin - antworteten mit neuen Ausstellungsformaten, einem Netzwerk des Austauschs und nicht zuletzt mit dem, was man heute "Corporate Identity" nennt - also einer Markenidentität, die sich in Plakaten, Monogrammen oder Zeitschriften verbreitete und bald alle Lebensaspekte vom Sitzmöbel bis zum Zuckerlpapierl erfasste.
Saat auf gut gepflügtem Boden
Man meint, dass Österreichs Hauptstadt mit seiner konstanten Beackerung des "Wien um 1900"-Feldes dem lokalen Publikum hier mehr als genug Material bereit halten würde. Und doch entpuppt sich die simple Idee, die Epoche mit dem Blick auf mehrere Städte und Szenen darzustellen, als außergewöhnlich fruchtbar: Die Ausstellung verharrt an keiner Stelle im "eh schon wissen"-Modus, sondern richtet sich mit einer reduzierten, klaren Erzählung an ein Publikum der Nichteingeweihten. Zugleich erhalten Werke, die Kenner schon oft gesehen haben, durch die Konfrontation mit Bildern und Skulpturen aus anderen Sammlungen neue Strahlkraft.
Zweimal Athene, aber keine Eulen
Gleich zu Beginn wird dies im Nebeneinander zweier programmatischer Bilder deutlich: Die "Pallas Athene" des Münchners Franz von Stuck (1898) hängt hier neben der Version, die Gustav Klimt im selben Jahr malte. Beide Künstler hatten die griechische Göttin der Weisheit zur Schutzpatronin ihrer Kunstbewegung erkoren, Klimt schärfte seine Version noch nach, indem er der Figur statt der konventionellen antiken Siegesgöttin Nike eine "Nuda Veritas", die Personifikation der "nackten Wahrheit", in die Hand drückte.
Klimts Bildnis eben jener allegorischen Figur - normalerweise im Theatermuseum beheimatet - bildet an der Wand nebenan einen tollen Dreiklang mit dem "Porträt Sonja Knips" aus dem Belvedere und jenem von Klimts Lebensmenschen Emilie Flöge, einer Preziose des Wien Museums. Ja, alle Werke lassen sich auch sonst in Wien besuchen - aber ihr Zusammentreffen gleicht einem Jubelchor.
Überhaupt ist das Ausstellungserlebnis beinahe musikalisch und hervorragend getaktet, was auch daran liegt, dass die Ausstellungs-Halle des neuen Museumsbaus den Kuratoren erlaubt, Stellwände genau so aufzustellen, wie sie es für richtig halten. Und so wechselt der Tusch zum Beginn mit einer leisen Sektion mit Archivalien und Vitrinen, die wichtige Publikationen ("Ver Sacrum", "Die Jugend") vorstellen und Korrespondenzen der einzelnen Vereinigungen belegen: Manche Künstler, etwa Carl Moll oder Gustav Klimt, waren Mitglied in mehreren Vereinigungen, internationale Kapazunder wie Edvard Munch holte man gerne als Ehrenmitglieder dazu.
Dass die Achse Wien-Berlin in der Schau besonders stark ist, ist teils persönlichen Beziehungen geschuldet: Ralph Gleis, einst Kurator am Wien Museum und nun als Chef der Albertina ab 2025 designiert, vernetzte sich früh mit Ursula Storch, der Secessions-Expertin des Wien Museums. Von Gleis' derzeitiger Wirkungsstätte, der Alten Nationalgalerie in Berlin, kommen zahlreiche Leihgaben, etwa Gemälde der deutschen Maler-Heroen Max Slevogt oder Lovis Corinth. Ihre wuchtige Malerei, teils nah am Impressionismus, ist weit weg von dem, was man gemeinhin "Jugendstil" nennt.
Netzwerk-Effekte
Die Konfrontation zeigt aber auch: Der Geist der Secessionen ist eher in der Vernetzung und der Internationalität zu suchen ist als in einer eindeutigen, erkennbaren Formensprache. Der spürbare Wunsch nach Erneuerung - verbunden mit teils hochtrabenden Postulaten, mit Kunst die Welt verändern zu wollen - übersetzt sich in der Schau auch mit Werken, die für sich allein genommen vielleicht nicht als absolute Meisterstücke bestehen könnten. So hält die Ausstellung die delikate Balance von Kunst- und Zeitgeschichte: Wer die Zeit um 1900 mit allen Sinnen begreifen will, ist hier richtig.
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