Zeno Staneks "Hin & Weg": Wenn man in Litschau in den Wald ruft
Es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis Zeno Stanek zum Ehrenbürger von Litschau ernannt wird. Denn der Regisseur und Verleger hat die nördlichste Stadt Österreichs eindringlich auf die kulturelle Landkarte gesetzt. Zunächst mit dem Schrammel.Klang.Festival rund um den malerischen Herrensee.
Heuer fand es zum 18. Mal statt, an den beiden Wochenenden zwischen dem 5. und 14. Juli spielten in Summe 165 Sängerinnen und Musiker rund 300 Stunden lang auf. „Es war das beste Jahr in der Geschichte des Festivals – mit gut 9.000 Besuchen“, sagt Stanek. „Wir nahmen uns vor, das Schrammel.Young.Festival zu sein, also eine etwas jüngere Generation nach Litschau zu holen, und das hat hervorragend funktioniert.“ Es gab also eine „Mischung aus erfahrenen Gruppen und jungen Haudegen“. Ihm sei wichtig gewesen, dass man nicht hintereinander die Sets bestreitet, sondern zumindest einige Nummern miteinander realisiert: „Einige waren skeptisch, die Zusammenführungen erwiesen sich aber als fruchtbar. Die Leute haben es geliebt, weil etwas völlig Neues geboten wurde.“
Ein Kindheitstrauma
Das Kollegium Kalksburg spielte mit Belle fin, die zwidan Zwa (Ernst Molden und Christopher Seiler) mit dem Frauenorchester, und Anna Mabo habe mit der Tschuschenkapelle „super harmoniert“. Dies sei Motivation genug, um Wienerische Musik in allen Variationen immer wieder aufs Neue auszuloten.
Und schon geht es weiter: Von 9. bis 18. August finden zum siebenten Mal unter dem Titel „Hin & Weg“ die „Tage der zeitgenössischen Theaterunterhaltung“ statt. Das Wort „Unterhaltung“ (im besten Sinn) ist Stanek wichtig. Am 10. und 11. August zum Beispiel präsentieren Claudia Kottal, Anna Kramer und Clara Luzia ihr Programm „Die liebe Familie“; dieser spezielle Dia-Abend werde die Zuschauer von ihrem Kindheitstrauma befreien – mithilfe von Humor, Musik und Improvisation (denn man ist dem Geschehen nicht hilflos ausgeliefert, sondern kann es unterbrechen).
Das diesjährige Motto besteht aus den Begriffen „Identität“ und „Teilen“. Sie passen für Stanek zusammen: „Denn man kann das Motto ja auch als ,Identität teilen‘ lesen. Identität hat immer mit Abgrenzung zu tun. Aber wir sind aufgerufen, unsere Identität mit denen, die ins Land kommen, zu teilen. Dieser Reibungspunkt interessiert mich. Daher gibt es mehrere Produktionen zu dieser Thematik – und auch die Gespräche rund um das Lagerfeuer.“
Für das Festival realisiert die Hochschule Ernst Busch das Stück „Identitätssplitter“, Lorenz Kabas erzählt von den Erfahrungen als schwuler Künstler, und Lorenz Hippe inszeniert sein Stück „Trans Silvanien“ über einen Mann, der sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen will.
Auf das Motto kam Zeno Stanek aufgrund eines Stücks von Christian Winkler (aka Franz von Strolchen als Regisseur). Es sei aber nicht möglich gewesen, „Das Schiff des Theseus“ (2023 in Graz uraufgeführt) über eine Frau, die für eine Romni gehalten wird, in Litschau zu zeigen. Zu sehen sein wird jedoch am 16. und 17. August Winklers Stück „Boji“: Es handelt von einem Straßenhund in Istanbul, der immer dazwischensteht, zwischen den Beinen und zwischen den Parteien.
Das Pflege-Dilemma
Zum Motto passt auch das Stück „Die vielen Stimmen meines Bruders“ von Magdalena Schrefel, das im Kosmos Theater (als Koproduktion mit dem Wiener Schauspielhaus) zur Uraufführung gelangt war. Denn der Bruder der Autorin benötigt aufgrund eines Gendefekts eine neue Stimme – beziehungsweise sogar viele. Und noch eine weitere Kosmos-Produktion ist zu sehen: „Für:sorge“ von Thomas Perle über die 24-Stunden-Betreuung.
„Über den Begriff ,Teilen‘ sind wir beim Thema Pflege gelandet. Und gerade da knallen Identitäten aufeinander. Denn die Menschen aus Österreich werden von Menschen aus Rumänien, Georgien oder sogar Tunesien gepflegt, also auch aus anderen Kulturkreisen. Sie sind nun Tag und Nacht zusammen – und voneinander abhängig.“
Armela Madreiter ist heuer die Dramatikerin in Residence (zu sehen ist ihr Debüt „Südpol.Windstill“) und Christina Ruf die Musikerin in Residence: Sie tritt am 18. August auf – zusammen mit Sigrid Horn, die als neue Kuratorin der spätabendlichen Konzerte u. a. Violetta Parisini, Endless Wellness und Dritte Hand verpflichtete. Erstmals gibt es zudem ein Ensemble in Residence: Man darf dem Ensemble Ehrlos, das mit der kapitalismuskritischen Performance „Für alle reicht es nicht“ gastiert, im Rahmen von „Offene Probe“ beim Entstehen einer neuen Produktion zuschauen. Zu sehen sein wird diese erst 2025.
Mit den beiden Festivals bescheidet sich Stanek aber nicht: Er macht auch in der Off-Saison Programm. „Zusammen mit der Bildungsdirektion haben wir Theaterworkshops für die polytechnischen Lehrgänge entwickelt. Es gab Zweifel, weil diese keine große Nähe zur Kunst und Kultur hätten. Aber genau das Gegenteil war der Fall: Alle haben begeistert mitgemacht und sind verändert nach Hause gegangen.“ Stanek hält es generell für notwendig, Kreativität in der Schule zu fördern: „Solche Angebote sind einerseits für die Heranwachsenden wichtig, denn sie öffnen den Geist, andererseits für die Kulturszene. Denn die Schülerinnen und Schüler sind unser zukünftiges Publikum. Bildung, aber ohne Zwang: Das ist das Wichtige.“
Die Waldviertelbahn
Nebenbei sinniert er über ein Festival im Winter – „wir wollen für die Tage zwischen Weihnachten und Silvester etwas Immersives auf die Beine stellen, aber das ist noch unausgegoren“ – und die Landesausstellung im Jahr 2028: „Alle zehn Gemeinden an der Waldviertler Schmalspurbahn haben sich gemeinsam beworben. Meine Idee ist: Man fährt mit dem Zug nach Gmünd, schaut sich dort im renovierten Palmenhaus eine Ausstellung an und fährt dann entweder nach Groß Gerungs oder Litschau. Dort sieht man eine Aufführung oder hört ein Konzert, übernachtet und fährt am nächsten Tag wieder mit der Bahn zurück.“ Die Entscheidung dürfte im Herbst fallen.
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