Schiele: Heilig mit nacktem Hintern

Egon Schiele, Weibliches Liebespaar, 1915, Albertina
Die Albertina zeigt den Expressionisten als Moralisten und Kunst-Reformator.

Es spricht für die Größe eines künstlerischen Werks, wenn es neue Deutungen nicht nur zulässt, sondern ständig herausfordert: Philosophie und Esoterik, Erotik und Theologie finden mitunter auf ein und demselben Blatt Papier Platz und liefern einander ein aufregendes Kräftemessen.

Im Werk von Egon Schiele ist diese Dynamik zweifellos vorhanden: Auch wenn manches aufgesetzt wirkt – dass Schiele sich nicht romantisch weich spülen lässt, führte zuletzt etwa ein Kinofilm vor Augen – so bergen die Körper und Gesichter in seinen Bildern immer noch Geheimnisse. Dass die Albertina nun fast ihre ganze, 160 Blätter umfassende Schiele-Sammlung, ergänzt um einige Leihgaben, ausbreitet, sollte also nicht nur den Wiener Tourismus freuen: Es ist auch eine Einladung zur Neuentdeckung eines Fundus, in dem sich einige von Schieles besten Blättern befinden.

Inszenierung

Direktor Klaus Albrecht Schröder, der diesmal auch als Kurator agierte, hatte bereits in seiner letzten großen Schiele-Schau 2005/’06 das Künstliche an den Darstellungen betont: Expressionismus war bei Schiele nie ungefilterter Ausdruck, sondern stets auch eine Inszenierung, die mit zahlreichen verschlüsselten Botschaften agierte.

In der aktuellen Schau baut Schröder stark auf Erkenntnisse des Kunsthistorikers Johann Thomas Ambrózy auf, der so manche „Codes“ in Schieles Bildern auf neuartige Weise entschlüsselte. Schiele ist bei Ambrózy gewissermaßen ein Lichtsucher, dem der „reine, erhabene, veredelte Mensch“ am meisten galt und der dieses Ideal mit einem geradezu religiösen Eifer aus den Gegebenheiten seiner Zeit herauszuschälen trachtete. Die Sexualität und Körperlichkeit, die so oft im Zentrum von Schieles Aktdarstellungen zu stehen schien, wird in dieser Sichtweise auf einen Nebenschauplatz verwiesen: Schiele, so Schröder, „trifft als zeichnender Moralist ethische Aussagen.“

Erlösungskünstler

Schiele: Heilig mit nacktem Hintern
Egon Schiele, Albertina, Werktitel tba
In der Schau, die im Grunde chronologisch durch Schieles Entwicklung führt, bringt diese Perspektive einige erhellende, aber auch widersprüchliche Einsichten. So wird die immer wiederkehrende Geste, in der sich Finger des Dargestellten zu einem „V“ formen, von Ambrózy mit einer byzantinischen Christusdarstellung in Verbindung gebracht; Schiele, der sich in einem Selbstbildnis auch mit „Heiligenschein“ abbildete, wird damit zu einer Art Erlöser der Kunst stilisiert. Gleich daneben aber zeigt ihn ein Bild völlig nackt und isoliert: Hochmut und Verunsicherung geben sich an den Wänden die Hand.
Schiele: Heilig mit nacktem Hintern
Egon Schiele, Albertina, Werktitel tba
Die von Schröder und Ambrózy vorgelegte Sichtweise schärft auch den Blick für die Hautfarben der nackten Körper: Schiele, der seine Modelle zuerst zeichnete und diese Bilder oft erst Wochen später kolorierte, stattete seine Figuren mit unterschiedlichen Ebenen der Lebendigkeit aus – von knallrot bis aschfahl reicht die Palette, die stets auch symbolischen Gehalt hat: Es geht um die Leblosigkeit lebender Menschen, um Körper, die einander auch innig umschlungen fern bleiben.

Ambrózy geht so weit, manche Hautgestaltungen mit der Darstellung von Aussätzigen in Verbindung zu bringen: Wie der Kunsthistoriker nachwies, war Schiele an zeitgenössischer Literatur zu Franz von Assisi höchst interessiert und verarbeitete diese auch künstlerisch.

Egon von Assisi

Der Heilige half wiederum nicht nur Aussätzigen, er entledigte sich auch öffentlich seiner Kleider, um zu zeigen, dass er auf alles Irdische verzichten würde. Zahlreiche Bilder, die Schiele oder andere Männer mit nacktem Hintern zeigen, erscheinen in diesem Licht als Allegorie einer religiösen Läuterung.

„Rein“ ist bei Schiele aber nichts so wirklich: Wo Spiritualität ist, ist auch Körperlichkeit, wo Moral ist, sickert auch Wolllust ein. Letztendlich bleibt das Werk auch in der Albertina gegen eine alles umfassende Deutung resistent: Zum Glück, darf man sagen.

INFO

Die Ausstellung „Egon Schiele“ ist ab Mittwoch, den 22. 2., bis 18.2.2017 für Publikum geöffnet. Sie zeigt 160 Werke, zum größten Teil aus dem Bestand der Albertina. Neben Kunstwerken illustrieren Fotos in der Schau das Alltagsumfeld, in dem Schiele seine – bis heute „zeitlosen“ – Werke schuf.

Der umfassende Katalog zur Schau ist um 29,90 € erhältlich. Während der Laufzeit stehen zahlreiche Führungen und Vorträge am Programm.

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