Schiele: Er war ein Superstar, er war so visionär

EGON SCHIELE, Selbstbildnis mit Lampionfrüchten, 1912 © Leopold Museum, Wien | Foto: Leopold Museum, Wien
Die weltgrößte Schiele-Sammlung lässt ihre Reichtümer im Jubiläumsjahr besonders strahlen.

Ausstellungen zu Egon Schiele haben für gewöhnlich gemeinsam, dass man ihnen die Mühen ihrer Entstehung anmerkt: Gemälde sind selten und als Leihgaben schwer zu bekommen, Werke auf Papier sind fragil und dürfen nur selten und für begrenzte Zeit ausgestellt werden. Die Institutionen sind also fast dazu genötigt, spezielle Aspekte in den Fokus zu rücken: Schiele und seine Partnerin Wally Neuzil, Schiele und der Körper, Schiele und die Spiritualität, et cetera.

Schiele: Er war ein Superstar, er war so visionär
Egon Schiele, Liebespaar, 1913 © Leopold Museum, Wien | Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger

Das Wiener Leopold Museum, Heimat der größten Schiele-Sammlung der Welt, kann jedoch wie kein anderes Kunsthaus aus dem Vollen schöpfen. Und es hat sich heuer, aus Anlass des 100. Todestags des Künstlers, entschlossen, dies auch zu tun.

Beglückende Fülle

Schiele: Er war ein Superstar, er war so visionär
Schiele_Sitzender Akt, 23.07.2002, 14:52 Uhr, 8C, 11836x12528 (0+189), 150%, Default Settin, 1/30 s, R32.5, G3.7, B10.8 Egon Schiele: Sitzender Männerakt ("Selbstdarstellung"), 1910, Ö+Deckf/L, 152,5x150cm, Inv. 46

An der schlicht "die Jubiläumsschau" betitelten Ausstellung, die bis 4.11. zweifellos Massen von Besucherinnen und Besuchern anlocken wird, beglückt zunächst einmal die Fülle an wunderbaren Bildern, die in ihrer Energie und emotionalen Direktheit auch bei der wiederholten Begegnung nichts verlieren. In zweiter Linie erfreut die offene Anordnung dieser Werke, die es nicht zwingend erforderlich macht, einem bestimmten Deutungsstrang zu folgen: Es bleibt viel Raum, um zu schauen und die Bilder in all ihrer Komplexität, Widersprüchlichkeit und Spannung wirken zu lassen.

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Schau wahllos arrangiert wäre: Diethard Leopold, Sohn des Museumsgründers Rudolf Leopold, agierte als Kurator und setzte gewisse Kristallisationspunkte, die durchaus seine Handschrift tragen.

Schiele: Er war ein Superstar, er war so visionär
Anton Josef Trcka, Egon Schiele mit gespitzten Lippen 1914 © Leopold Museum, Wien | Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger

Das Verhältnis des Künstlers zu seiner Mutter und seine Stellung innerhalb der Familie, in der er durch den frühen Tod des Vaters früh eine Erwachsenen-Rolle einnehmen musste, ist etwa ein Thema, das den Psychotherapeuten Leopold sichtlich interessiert: Wie er sagt, wurzelt hier der "obsessive Bezug" Schieles zu Kindern, der ihn 1912 ins Gefängnis brachte, sowie die Sehnsucht nach einer stabilen Beziehung, die 1915 zum Bruch mit seinem Lebensmenschen Wally Neuzil und zur Heirat mit der aus bürgerlichem Hause stammenden Edith Harms führte. Dass sich das Menschen- und insbesondere das Frauenbild in Schieles Werk zu jener Zeit wandelte, ist in der Schau nachzuprüfen.

Kurze Blicke ins Archiv

Schiele: Er war ein Superstar, er war so visionär
Anton Josef Trcka, Egon Schiele mit gespitzten Lippen 1914 © Leopold Museum, Wien | Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger

Diethard Leopold schöpfte nicht nur aus der Sammlung, die sein Vater 1994 in eine Stiftung – die Trägerinstitution des Museums – eingebracht hatte, sondern auch aus den Beständen, die er später privat erwarb, darunter viele Archivalien. In der Schau entdeckt man dank dieser Exponate etwa, dass der scheinbar amputierte, vor weißem Hintergrund schwebende "Männerakt" von 1910 – das Plakat-Sujet der Schau – einst Teil einer Serie von heute verlorenen Selbst-Bildern war. Allein der "Kniende Selbstakt" (1910) ist in der Aquarellversion im Nebenraum noch erhalten. Historische Fotos des posierenden und grimassierenden Künstlers – in seiner brüchigen Selbstverliebtheit wirkt er zeitweise wie ein junger Falco – sind in diesem Kontext aufschlussreich.

Schiele-Brus-Palme

Schiele: Er war ein Superstar, er war so visionär
Thomas Palme, LIEBE BESUCHER DES LEOPOLD MUSEUMS, 2017 © Courtesy Thomas Palme Foto: Hermann Seidl

Die Obsession mit der Zeichnung, dem Selbst und dem Geschlecht trägt aber noch eine weitere Schau (bis 11.6.): Günter Brus (*1938) und der Deutsche Thomas Palme (*1967) erweisen sich im Untergeschoß als beredte Partner Schieles – nicht nur, weil sie in ihrer Formen- und Körpersprache teils direkt an ihn anknüpfen. Den virtuos gezeichneten Papierwerken von Brus und Palme gelingt es auch, den Künstler Schiele, der doch oft im symbolistischen und esoterischen Pathos des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts watete, keck und humorvoll zu verdrehen.

Da die Papierarbeiten der "Jubiläumsschau" aus konservatorischen Gründen im Lauf der Ausstellung zwei Mal ausgetauscht werden müssen, werden sich bis zum Herbst noch weitere Konstellationen ergeben: Noch ein Grund mehr, diese reichhaltige Schau gleich mehrmals zu besuchen.

Die Jubiläumsschau im Leopold Museum läuft bis 4. 11., „SchieleBrus – Palme: Absturzträume“ bis zum 11. 6., die Sonderausstellung zu „ Wien 1900“ bis 10.6.

In Tulln, wo Egon Schiele 1980 zur Welt kam, eröffnet am 7.4. das Schiele Museum nach der Renovierung neu – im Fokus steht dabei das private Umfeld des Künstlers. In Linz werden noch bis 21.5. Werke von Schiele, Klimt und Moser im Lentos Museum präsentiert.

Das Belvedere stellt ab 19.10. seine Schiele-Gemäldesammlung in den Fokus. International zeigen heuer das Metropolitan Museum New York, das Museum of Fine Arts Boston und die Royal Academy London Schiele. Die Wiener Albertina ist in Boston und London Hauptleihgeber.

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