Salzburger "Jedermann": Seelennotrettung mit singender Buhlschaft
- Am Samstagabend hatte bei den Salzburger Festspielen der "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal Premiere.
- Heuer gab es eine neue Buhlschaft an der Seite von Hauptdarsteller Tobias Moretti - und diese ist anders als gewöhnt.
- Und ja, auch das Wetter spielte eine Rolle. Hier die Kritik:
Salzburger Festspiele sind, und wer rechtzeitig gebucht hat, nützt die Gelegenheit zum alljährlichen Seelen-Detox für den stressgeplagten Menschen von Heute.
SALZBURGER FESTSPIELE 2019: FOTOPROBE "JEDERMANN"
SALZBURGER FESTSPIELE 2019: FOTOPROBE "JEDERMANN"
SALZBURGER FESTSPIELE 2019: FOTOPROBE "JEDERMANN"
SALZBURGER FESTSPIELE 2019: FOTOPROBE "JEDERMANN"
SALZBURGER FESTSPIELE 2019: FOTOPROBE "JEDERMANN"
SALZBURGER FESTSPIELE 2019: FOTOPROBE "JEDERMANN"
SALZBURGER FESTSPIELE 2019: FOTOPROBE "JEDERMANN"
SALZBURGER FESTSPIELE 2019: FOTOPROBE "JEDERMANN"
Man hat ja kaum Zeit zum Nachdenken, aber eine Stunde fünfundvierzig Minuten für die wichtigsten Themen des Lebens, das hat gerade noch Platz im Terminkalender: Mit angereicherten Bitterstoffen – wir müssen alle sterben! – wird bei der „Jedermann“-Kur dort, wo sich sonst die Optimismusschlacke absetzt, ordentlich durchgespült.
Es soll sich ja nicht das Selbstzufriedenheiterl, das Hassgefühlerl, das Neidblickerl negativ auf das Gesamtsystem auswirken, also raus damit: Der „Jedermann“ lehrt, dass Gier, Eitelkeit, Lust und Hartherzigkeit jetzt auch nicht das Wahre sind. Das tut doch hin und wieder auch gut, darüber kann man doch mal nachdenken.
Auf dem Beipackzettel zu dieser mit dem Ticketkauf selbstverschriebenen Kurz-Kur sollte vermerkt werden: Seit Tobias Moretti den Jedermann verkörpert, hat all das keinerlei Wellness-Charakter.
Überdruss
Denn der Hauptdarsteller testet recht forsch aus, wie belastbar der Haken ist, an dem die Festspiele seit bald hundert Jahren hängen: Er hängt dem Hofmannsthal’schen Domspektakel – nicht alle nehmen das so ernst – eine Dringlichkeit auf Leben und Tod um, unter der auch wertigere Stücke durchaus in Sichtweite ihrer Sollbruchstellen kommen könnten.
Morettis Jedermann reibt sich an Lebensgier und Überdruss wund, er hat keine Freude mehr am Reichtum, an der Erniedrigung der Armen, am Alphamännchen-Dasein, das ihm eine verführerische Buhlschaft an die Seite gestellt hat.
Er hält vielmehr die Welt mit einem Angriffstonfall auf Distanz, der ihm selbst angesichts seiner letzten Chance, wenn der Glaube ihm die Hand reicht, noch einmal entkommt.
Dieser Jedermann hat sich in einer entsinnlichten Seite des Daseins verfangen. Und er hat ganz offenbar schon viele Beziehungsmomente in den Sand gesetzt, noch bevor ihm der Tod um die Ohren pfeift. Denn seine Buhlschaft lässt sofort den emotionalen Rollladen herunter, kaum schwächelt der Leistungsmann.
In der begehrten Nebenrolle steht heuer erstmals Valery Tscheplanowa auf der Bühne. Und sie gibt eine sowohl klassische – rotes Kleid, viel Bein – als auch heutige Buhlschaft: Sie hat, im wahrsten Sinne, die Hosen an, und ja, ein glitzernder Hosenanzug ist im Kontext des „Jedermann“ auch im Jahr 2019 noch etwas, das für Aufsehen sorgt.
Heutig ist diese Buhlschaft auch in anderer Hinsicht: Kühl serviert sie den Jedermann ab, wenn ihr dessen Spiel nicht mehr gefällt.
Apropos: Tscheplanowa darf, das ist im dritten Jahr der Inszenierung von Michael Sturminger neu, auch Lieder singen. Und auch wenn sie das sehr gut macht: Die Einlagen haben etwas störend Gewolltes, dramaturgisch Ungelenkes anhaften, und die Nahtstellen zum Rest der Inszenierung sind nicht verheilt.
Dafür hat sich in die fürs 99. Jahr der Festspiele erneut bearbeitete Inszenierung der familiäre Neuzugang toll eingefügt: Gregor Bloéb, der heuer mit seinem Bruder Moretti auf der Bühne steht, hat einen witzigen Auftritt als Teufel (was der alles mit seinem Schwanz kann!).
Der fantastische Peter Lohmeyer bleibt die Idealbesetzung als Tod.
Mavie Hörbigers Werke sind weniger schwächlich-zitternd, dafür anfangs ordentlich fordernd gegenüber dem Jedermann.
Das Wetter
Und auch die erweiterte Bühnentechnik spielte bei der Premiere am Samstagabend brav ihre Rolle: Das Wetter war schön genug, dass am Domplatz gespielt werden konnte, und am Schluss riss ein aufziehender Wind einen Notenpult um, just als der Teufel sich über den Himmel beklagte. Blitzleuchten und wehende Vorhänge verliehen dem Finale eine besondere Dringlichkeit.
Und ja, der Jedermann schaffte es, es gab die Seelennotrettung in letzter Sekunde, bevor das Wetter kippen konnte, bevor der rettende Hafen – hier: der Glaube – sich verschließt. Und auch bevor dem Publikum angesichts einiger Tropfen allzu bang um das Premieren-Outfit werden musste. Es gab großen Premierenjubel. Der Erfolg der Seelenkur aber, der stellt sich erst nach und nach heraus. Hat’s was genützt, sind sie weg, die Eitelkeiten und Hassgefühle? Nein? Macht nichts. Nächstes Jahr gibt es wieder die Chance, zum 100. Jahr der Festspiele.
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