Philipp Hochmair: „Den Jedermann zu spielen, ist ja nicht nur Spaß“
Vor elf Jahren, im Sommer 2013, triumphierte Philipp Hochmair beim Young Directors Project der Salzburger Festspiele mit einem Gegenentwurf zum Sterben des reichen Mannes auf dem Domplatz: In der Performance „Jedermann (reloaded)“ verkörperte der Wiener, Jahrgang 1973, fast alle Rollen. Zusammen mit seiner Band „Die Elektrohand Gottes“ und wechselnden Buhlschaften spielte er fortan da und dort, auch an der Burg und im Stephansdom. Und so konnte er 2018 quasi über Nacht als Jedermann für den erkrankten Tobias Moretti einspringen. Heuer ist er der offizielle Jedermann. Und die Schweizerin Deleila Piasko debütiert in Salzburg als Buhlschaft.
KURIER: Ich hätte gedacht, dass Patrizia Aulitzky als Buhlschaft infrage kommen könnte. Denn sie ist Salzburgerin – und Sie haben mit ihr mehrfach zusammengespielt, etwa in der Serie „Blind ermittelt“.
Philipp Hochmair: Sie hat auch in „Jedermann Reloaded“ die Buhlschaft gespielt. Das hat sehr gut funktioniert. Aber die Salzburger Festspiele sind kein Wunschkonzert. Die haben das Team ausgewählt, das Paar zusammengewürfelt.
Wie lief denn das Blind Date mit Deleila Piasko?
Es gab keines. Denn wir sind uns schon davor bei der Berlinale in die Arme gelaufen. Wir haben uns damals kurz unterhalten und fanden gleich Verbindungen, das Burgtheater zum Beispiel. Dann rief ich ihr zu: „Wir sehen uns sicher wieder – auf der Bühne.“ Den Satz hab’ ich wieder vergessen, denn auf der Berlinale waren wir alle so berauscht. Aber Deleila hat ihn mir dann an den Kopf geworfen, als uns die Festspiele zusammenspannten.
Sie beide verkörpern ein traditionelles Mann-Frau-Bild. Denn Sie sind 17 Jahre älter als Piasko …
Das ist ja weder unzeitgemäß noch ungewöhnlich. Jedermann hat eben die Mittel und den Wunsch, sich eine schöne, tolle, junge Frau zu … (Nachdenkpause) … gönnen.
Hätte man dieses Klischeebild vom reichen Mann mit schöner Frau nicht hinterfragen können?
Das wäre auch mein erster Gedanke gewesen. Der Regisseur wollte es anders.
Sie haben Ihre Performance mit der „Elektrohand Gottes“ und Ihr Einspringen 2018 als „Missions Impossible“ bezeichnet. Und nun folgt eine dritte Textfassung. Kommen Sie da nicht durcheinander?
Wie Jennifer Lopez gesungen hat: „I’m still Jenny from the block“. Es gibt nun einmal verschiedene Fassungen, das muss man im Kopf auseinanderhalten. Aber ich habe mich auf dieser Reise mit dem Stück auch verändert und weiterentwickelt. Es ist jetzt genau richtig, in den Hafen zurückzukehren.
Was ist der Hafen?
Der Hafen ist der Domplatz – und auch Salzburg. 1996 hab’ ich im Metropolis, einem ganz kleinen Off-Theater im Nonntal, eine meiner ersten Rollen gespielt.
Zudem kehren Sie zum Originaltext zurück.
Robert Carsen hat alle Hofmannsthal-Opern inszeniert und großen Respekt vor dem Text. Ich habe für mich eine Lesart gefunden, bin aber dankbar, jetzt zurück zur Quelle zu kehren. Ich muss daher neue Textstellen lernen, denn es wurden viele Streichungen wieder aufgemacht. Ich stehe tatsächlich vor einer großen Veränderung.
Können Sie schon etwas über das Regiekonzept verraten?
Ich habe es zunächst für mich komplett durchdekliniert. Und nun, in den Proben, entsteht aus Carsens Vorstellung und unseren Körpern und individuellen Reaktionen etwas Ganzes. Verraten kann ich nur: Jedermann wird klar als Zeitgenosse erkennbar, es gibt also keine historischen Kostüme.
Der Katholizismus ist heute nicht mehr so bestimmend. Ist es für Sie nachvollziehbar, dass der Jedermann sich Gott zuwendet?
Wenn man nur noch eine Stunde zu leben hat und erkennt, dass man egomanisch, egoistisch gelebt hat, ist der Katechismus sicher eine Zuflucht. Und wenn man in dieser Stadt diese dominanten Kirchen als Bühnenbild haben darf, ist es nicht undenkbar, dass man da hineinflieht, Trost sucht und vielleicht auch bekommt.
In der letzten „Jedermann“-Inszenierung hat man vom Dom nicht viel gesehen, weil Jedermann sehr abgeschottet hinter einer fetten Mauer lebte. Wie wird es heuer?
Ganz im Sinne von Max Reinhardt wird die Stadt zur Bühne: Der Dom ist eine Immobilie, die der Jedermann bespielt und bewohnt.
Lars Eidinger, ein großer Selbstdarsteller, hat sich selbst eingebracht, als Jedermann auch Bertolt Brecht zitiert. Unterwerfen Sie sich dem Konzept von Carsen – oder bestehen Sie auf eigenen Ideen?
Ich bestehe auf gar nichts und ich unterwerfe mich auch nicht: Ich stelle mich zur Verfügung – und will mich auch verändern dürfen. Der Auftrag lautet, das Drehbuch, die Vorlage ernsthaft zu lesen. Bei allem Unwohlsein, das dadurch entstehen könnte: Ich habe ja immer noch meine eigene Interpretation, in der ich machen kann, was ich will. Ich empfinde es als einen großen Luxus, beides parallel ausleben zu können.
Parallel?
Am 9. August trete ich mit meiner Band auf der Burg Clam Open Air auf – mit Stefanie Reinsperger, die 2018 auf dem Domplatz meine Buhlschaft war. Wer also für den Domplatz keine Karte mehr bekommen hat, hat auf der Burg Clam die Chance, mich als Jedermann zu sehen. Das Datum ist der sechste Jahrestag meines Einspringens.
Meine Schwiegermutter, Mitte 80, war begeistert von „Reloaded“.
Das freut mich sehr. Ich will das Publikum ja nicht spalten, sondern vereinen. Ich bin kein Rebell um des Rebellierens Willen, sondern will eine Perspektive eröffnen. Und wenn klassische Bildungsbürger, wenn man sie so nennen will, Freude an einer Punkversion finden, ist es genau das, was ich mir wünsche.
Das ist auch das Thema Ihres Films „Jedermann und ich“ …
Ja, ich wurde einige Monate von Katharina Pethke, einer Kunstdokumentarfilmerin aus Hamburg, begleitet. Und die Aufnahmen wurden dann mit Archivmaterial aus 2013 ergänzt. Der Film hat meine Suche nach Jedermann verewigt.
„Jedermann und ich“ wurde 2023 bei der Diagonale in Graz und den Hofer Filmtagen gezeigt, er war aber nicht im Kino zu sehen …
Der Film ist ein bisschen amorph, in Schwarzweiß gedreht, es gibt kaum eine Einheit zwischen Ton und Bild. Es ist ein Experimentalfilm mit einer wirklich speziellen Form und daher nicht massentauglich. Deshalb gibt es keinen klassischen Kinostart. Aber er wird überall, wo ich „Reloaded“ spiele, gezeigt. Und natürlich mehrfach in Salzburg als Ergänzung zu den „Jedermann“-Aufführungen. Und danach beim Filmfest in Kitzbühel am 24. August.
Sie verwendeten vorhin das Wort „Drehbuch“: Sie haben in den letzten Jahren in erster Linie Serien gedreht, eben „Blind ermittelt“ und davor „Vorstadtweiber“. Schauspieler in einem Ensemble ist nichts mehr für Sie?
Die „Faust“-Inszenierung von Nicolas Stemann hatte 2011 in Salzburg Premiere und ist bis letztes Jahr gelaufen, da haben wir sie noch einmal in St. Pölten gezeigt. Aber neue Stücke hab’ ich in der Tat nicht mehr gemacht, weil es sich mit der Karriere als Filmschauspieler nicht ausgegangen ist. Allerdings war die Verfilmung der „Wannseekonferenz“ eigentlich ein Ensemble-Stück in Reinform – es ist also nicht so, dass ich mich nicht in ein Team einfinden kann oder will. Ich konnte mich nur nicht mehr den langfristigen Planungen am Theater unterwerfen. Aber ich wollte mir das Theater unbedingt erhalten. Daher bin ich zum Produzenten avanciert – und habe mir meine eigenen Stücke und Verträge gemacht: Ich bestimme selbst meine Termine – und kann sie verschieben, wenn die Dreharbeiten es verlangen sollten. Umso größer ist die Freude, jetzt einen ganzen Sommer Theater zu spielen.
Etlichen Buhlschaft-Darstellerinnen war das Chichi zu viel, sie zogen sich zurück. Sie aber werden ein Star zum Angreifen sein während der Festspielzeit?
Wenn ich es aushalte? Damals, als ich für Moretti eingesprungen bin, hatte ich fünf Tage lang den maximalen Zirkus. Das war toll. Aber wenn das zwei Monate so geht, muss man schon darauf achten, zwischendurch seine Ruhe zu finden. Ich verstehe die Neigung, sich zu verstecken. Denn den Jedermann zu spielen, ist ja nicht nur Spaß, sondern eine auch physische Herausforderung.
Wieder eine Neuproduktion: Michael Maertens war nur einen Sommer lang der Jedermann: Intendant Markus Hinterhäuser und Schauspielchefin Marina Davydova entschlossen sich zu einer Neuproduktion. Robert Carsen führt Regie, es spielen – neben Philipp Hochmair und Deleila Piasko – Andrea Jonasson, Christoph Luser, Dörte Lyssewski, Arthur Klemt, Nicole Beutler, Lukas Vogelsang und andere
Insgesamt 15 Vorstellungen: Premiere am 20. Juli, alle Vorstellungen (bis 28. August) sind quasi ausverkauft. Karten kann man noch für die Generalprobe am 19. Juli um 21 Uhr ergattern: Der Online-Verkauf startet am 10. Juli um 9.30 Uhr. Schnell sein!
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