Am Ende des zweiten Aktes stehen die Hauptfiguren im Müllraum, mit gezückten Pistolen aufeinander zielend. Als dann noch ein Gewehr auftaucht, ist es plötzlich da: ein Kichern. Martin Kušej bringt „Figaro“, aber mit Pistolen auf die Bühne, und in diesem einen Moment ist das so überspitzt und skurril und bilderträchtig, wie es auch den Rest des Abends sein müsste, um zu funktionieren.
Müsste. Denn die Eröffnung der Salzburger Festspiele ist leider nur eine Platzpatrone, für die sich Kušej am Schluss freudig Buhrufe abholte, als wäre das immer noch eine Auszeichnung.
„Le nozze di Figaro“ 2023 ist eine heruntergekühlte Bühnenbehauptung, die die Ränkeleien der Mozartoper durch die Eingeweide eines Großgebäudes verfolgt, das entweder Mafiasitz oder Hochzeitslocation ist (aber da ist zuweilen in echt auch kein großer Unterschied).
Dort gibt es für eine Gangstertruppe und ihre Entourage kein Entkommen voneinander: Sie reiben sich übelgelaunt in Beziehungsspielen aneinander, drohen immer wieder, einander zu erschießen, aber wissen dann doch nichts derart Wichtiges miteinander anzufangen.
Die Gang – eine tolle Mafiaserie im Fernsehen heißt übrigens, wie passend, „Sopranos“ – absolviert ihre Auftritte in sehr schön eckigen Räumen im Neonlicht. In diesen tauchen vereinzelt jene Opernbilder auf, die in den letzten Jahren noch für Wallungen sorgten: Schusswaffen, ein nackter Rücken, ein blanker Busen.
Und bei ihrem ersten Auftritt steht die Contessa (Adriana González) in einer Nähe zum Gemälde „Ursprung der Welt“ (Sie wissen, das Courbet-Werk mit den gespreizten Frauenbeinen), die sich sonst nur Gynäkologen erlauben dürfen.
Das große Finale versteckt sich dann in einem unfreundlich wuchernden Garten: Man hat ihn schnell verinnerlicht, den kalten Blick, mit dem hier Mozart auf seinen Ernst hin durchleuchtet wird. Sapperlot, das ist ja gar nicht lustig mit diesen Machtspielen, das mit dem sexuell Bedrängtwerden von oben.
Wer in den letzten fünf Jahren das Internet aufgemacht hat, weiß das zwar; auf der Bühne jedoch geriert sich das als Neuigkeit. Aber auch die Gegenmaßnahmen, die zuletzt fast zwanghaft wirkenden Tricksereien von unten mit Haarnadeln und dergleichen haben etwas Bitteres und Verzweifeltes.
Junge Frauen werfen blutige Kleider auf den Conte (Andrè Schuen).
#MeToo fängt, wie Mozart, mit einem „M“ an.
Das birgt natürlich ein gewisses Erkenntnisversprechen, das aber nicht eingelöst wird: Die Mafiosi mit Machtmissbrauchsvorliebe bleiben eine Versuchsanordnung ohne Leben oder Gültigkeit.
Reibung
Aber es bleibt ja die Musik. Da gab es ein spannendes Ritual zu beobachten: Die Wiener Philharmoniker sondieren Dirigenten, die die nach und nach verschwindende letzte Generation aus der großen Zeit der Nachkriegsklassik ersetzen könnten, gerne am lebenden Objekt. Diesmal: Raphaël Pichon, 37 Jahre junger Vertreter der neuen Originalklang-Verfechter.
Der durfte gleich bei seinem Salzburger Opern- und Wiener-Philharmoniker-Debüt am an und für sich schon legendären Mozartsound des Orchesters kratzen. Dafür braucht man scharfe Werkzeuge, das kann ganz leicht schiefgehen. Und obwohl es nicht nur in den Soundeffekten bei den Bühnenumbauten hin und wieder donnerte, vermeinte man im Verlauf des Abends eine Wärme im Graben zu orten, die nicht nur aus Reibung entstand: Man hörte einen nachgedunkelten Philharmoniker-Mozart mit so viel Gestaltungsenergie, dass sich das Orchester zuweilen mitreißen ließ. Liebe auf den ersten Takt hört sich anders an, fruchtbar könnte das dennoch werden.
Jubel für Sänger
Ähnliches galt auch für die Stimmen: Fast alle mussten sich warmlaufen, am Schluss aber gab es berechtigten Jubel etwa für Lea Desandre als Cherubino, die sich stimmlich wie darstellerisch einnehmend bewegte.
Krzysztof Bączyk gab einen präsenten, wenn auch handlungsbehäbigen Figaro in Strizzi-Optik, an dem die Action oft mehr vorbeizulaufen schien, als dass er sie gestaltet hätte. Sabine Devieilhe hatte als Susanna tolle Momente, González bewegte sich in allen Lagen geschmeidig, Schuen donnerte gelungen vor sich hin.
Was noch bleibt, ist die Verwunderung, dass die Bühnenkunst mit Partystimmung so wenig anzufangen weiß: Auch hier gerät die Silent Disco des Chores (der, sehr gut, zuvor auch aus dem Graben singen durfte) zur Karikatur einer Feiergesellschaft.
Das mag per se nicht wichtig sein, beleuchtet aber ein grundsätzliches Problem: Wenn ein so großes Werk wie der „Figaro“ letztlich so wenig über das Heute hergibt, dann tönt das umgebende Festspielgetöse umso hohler.
Der Applaus war kurz, flüchtete sich rasch in rhythmisches Klatschen und erschöpfte sich im Bedürfnis, Kušej abzustrafen.
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