Salzburger Festspiele: Alle Konzert-Kritiken auf einen Blick
- Neben den großen Opern und dem Schauspiel gibt es bei den Salzburger Festspielen auch zahlreiche hochkarätige Konzerte. Der KURIER versammelt hier, laufend ergänzt, alle Kritiken aus dem Konzertprogramm - die neuesten sind oben, je weiter unten, desto älter. Letztes Update: 14. August.
„Messa da Requiem“ mit Muti – eine Offenbarung
Wenn Guiseppe Verdis „Messa da Requiem“ zur Offenbarung wird, wenn die letzten Dinge so verhandelt werden, dass einen das bis ins Innerste erschüttert, dann steht Riccardo Muti am Pult der Wiener Philharmoniker wie bei deren drittem Konzert im Rahmen der Salzburger Festspiele.
Es war Herbert von Karajan gewidmet, dessen Todestag diesen Sommer zum 30. Mal wiederkehrte. Er hatte Muti 1982 erstmals an die Salzach geholt. Verdis Requiem ist Mutis Kernrepertoire. Unfassbar, wie er nie aufhört, dieses noch tiefer zu erforschen und neue Akzente zu setzen.
Wie er Details dieser Partitur herauskehrt, ist konkurrenzlos. Die Akkorde, mit denen er das „Dies irae“ einleitete, ließen mit unerbittlichem Ernst spüren, wie es sein könnte, wenn eine Seele vor ihrem Richter steht. Muti ließ dieses Bangen, diese Zwiesprache mit Gott in jeder Phase spüren, denn bei Verdi steht das Flehen um Erlösung im Zentrum, Gewissheit gibt es jedoch keine. Ein Höchstmaß an Emotion erreichte er durch pure Präzision.
Das war große Oper. Jedes Fortissimo erschütterte, exzessive Gewaltakte aber blieben ausgespart. Generalpausen setzte Muti markant, aber sanft. Geschmeidig lenkte er die „Wiener“, die auf höchstem Niveau spielten. Brillant die Blechbläser beim „Tuba mirum“. Die Gesangssolisten waren erstklassig: Krassimira Stoynanova mit ihrem klaren Sopran, Anita Rachvelishvili mit ihrem prächtigen Mezzo, Tenor Francesco Meli beeindruckte mit intensiver Intonierung und Ildar Abdrazakov mit seinem eleganten Bass. Das war vollendetes Musizieren. Ovationen. Susanne Zobl
Markus Hinterhäuser und Matthias Goerne auf einer beseelten „Winterreise“
Mit Franz Schuberts „Winterreise“ hatte Markus Hinterhäuser bei den Wiener Festwochen 2014 – als Intendant und Pianist – der Liedinterpretation ein aufregendes Kapitel hinzugefügt. Er ließ Schuberts Liederzyklus vom südafrikanischen Künstler William Kentridge bebildern. Den musikalischen Teil übernahm er selbst am Klavier, den Gesang der Ausnahme-Bariton Matthias Goerne.
Das Projekt ging um die Welt. Nach Stationen in New York, Sydney, Moskau und an anderen bedeutenden Konzerthäusern brachte er es im dritten Jahr seiner Intendanz der Salzburger Festspiele an die Salzach.
Die Aufführung im Großen Festspielhaus geriet zum musikalischen und visuellen Ereignis. Auf der Bühne zeugten zerknüllte Blätter vom Schöpfungsprozess. Für jedes der 24 Lieder hatte Kentridge seine Kohlezeichnungen zu einem Zeichentrickfilm verarbeitet.
Unfassbar, wie Bilder, Text und Musik wie Zahnräder ineinandergriffen und immer wieder verblüfften.
Neue HoffnungWenn der Winterwanderer seine Reise antritt, ist ein alter Plan von Wien zu sehen: Unter Aspern, Stadlau und Essling ist „A new Hope“ zu lesen. Von dort ging es nach Johannesburg. Kentridge porträtierte sich als rastlos Suchenden und zeigte verlorene Gestalten. Das hatte Sogwirkung.
Der musikalische Part überwältigte. Goerne ist ein faszinierender Gestalter. Er lebte die Texte Wilhelm Müllers. Er phrasierte virtuos, changierte zwischen tenoralen Höhen und tiefen Tönen, zwischen Hoffnung und Desperation.
So aufwühlend wie sein Gesang war auch Hinterhäusers Spiel. Ein beseelter Erzähler war an den Tasten zu hören, der Poesie und Dramatik anmutig, packend zum Klingen brachte. Susanne Zobl
Mahler für Klavier mit Igor Levit – virtuos und faszinierend
Ein Feuerwerk an Virtuosität und Mahlers Sound am Klavier: Der Pianist Igor Levit faszinierte bei den Salzburger Festspielen.
Unfassbar, wenn sich Intensität und Spannung immer noch mehr steigern wie bei Igor Levits zweitem Klavierabend in diesem Salzburger Festspielsommer, den er mit Beethovens „Sechs Bagatellen“, op. 126, eröffnete.
Kaum hatte er die ersten Takte im Haus für Mozart angeschlagen, erhob sich eine Stimme im Saal. Levit begann erneut. Unglaublich, wie er noch feinsinniger die sechs Preziosen schillernd zum Schweben brachte.
Ein Feuerwerk Selten Gespieltes folgte mit dem Beginn von Mahlers 10. Symphonie in Fis-Dur, bearbeitet von Ronald Stevenson. Mahler für Klavier? Kann das funktionieren? Es kann und wie, wenn man es spielt wie Levit. Als würde ein Künstler dem anderen nachspüren, tastete er sich zunächst mit der linken Hand vor. Als die rechte dazukam, war er plötzlich ganz da: der einzigartige Mahler-Sound.
Da ersetzten zehn Finger ein Orchester. Mit tiefster Empfindung und trotzdem dramaturgischem Intellekt machte der Pianist bei der Fragment gebliebenen Komposition hörbar, wie deren Schöpfer mit dem Leben rang.
Das besondere Verhältnis zwischen Levit und Beethoven hat bereits seine Einspielung der letzten Klaviersonaten (2013) gezeigt. Im Herbst folgen – zum Auftakt von Beethovens 250. Geburtstag 2020 – alle 32 auf CD. Ein Feuerwerk an Virtuosität entfachte er mit den „Diabelli-Variationen“, op. 120. Das Opus Magnum zählt zu Levits Kernrepertoire, trotzdem war es, als schürfte er bei jedem Teil nach dem Besonderen. Fulminant. Atemberaubend, die Zugabe, das Adagietto aus Mahlers 5. Symphonie. Stehende Ovationen. Susanne Zobl
Philharmoniker, Franz Welser-Möst:Todesgesänge mit und ohne Verklärung
„Der Tod geht ständig ein und aus und doch verlässt er die Taverne nicht“: Begleitet vom Geklapper der Kastagnetten fegt in einer bizarren Szenerie in Federico Garcia Lorcas Gedicht „Malaguena“ der Tod durch das Lokal. Dmitri Schostakowitsch’ 14. Symphonie (UA 1969 in St. Petersburg) ist mit ihrer resignativ pessimistischen Haltung eine radikale, mitleidslose Auseinandersetzung mit dem Tod. Die gesamte elfsätzige Anlage bricht mit dem traditionellen Formschema, überschreitet vielfach die Grenze zur Tonalität. Dem kleinen Streichorchester steht nur ein großes Schlagwerk gegenüber.
Die Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst wussten das nach Gedichten verschiedener Autoren vertonte Werk mit großer Präzision, struktureller Klarheit, dunklen Streicherfarben umzusetzen. Expressiv gestalteten Asmik Grigorian, die demnächst wieder als Salome bei den Festspielen zu erleben sein wird, mit durchschlagskräftigem und sinnlichem Sopran und Matthias Goerne mit schwarzem Bariton ihre Gesangspartien.
Begonnen hatte man mit verheißungsvollen Erlösungstönen, dem wunderbar modellierten Vorspiel aus Richard Wagners „Parsifal“, dem bruchlos die symphonische Dichtung „Tod und Verklärung“ des 25-jährigen Richard Strauss folgte. Sie beschreibt die Todesstunde eines Künstlers, der seine Lebenserinnerungen Revue passieren lässt. Die wuchtigen Fortissimo-Schläge des vollen Orchesters, das Aufbäumen des Körpers im Todeskampf, um schließlich in das Dahinscheiden im wunderbaren „Verklärungsthema“ zu münden, wurden plastisch, mit spannungsvollen Steigerungen und großer Klangpracht musiziert. Helmut Christian Mayer
Symphoniker des Bayerischen Rundfunks: Harte Akzente und einfühlsamer Klagegesang
Es heißt, dass das vom Komponisten geforderte Tempo des letzten Satzes jedes Ensemble an seine spielbaren Grenzen zu bringen vermag. Nicht jedoch das Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks, denn dessen Musiker konnten unter Yannick Nézet-Séguin, obwohl dieser insgesamt noch schnellere Tempi anschlug, das Finale von Ludwig van Beethovens 2. Symphonie hochvirtuos und flinkfingrig musizieren. Zudem wählte der kanadische Dirigent, seit 2012 Chef des Philadelphia Orchestra und seit 2018 Musikdirektor der Metropolitan Opera in New York, bei diesem Stück harte, ja schroffe Akzente, die er mit extremen, stets befeuernden Gesten erzeugte. Und so erklang das Werk, das immer etwas im Schatten der großen Symphonien stand, im Großen Festspielhaus bei den Salzburger Festspielen zu kontrastreich.
Dem Kopfsatz wie auch dem geistreichen, schnellen Scherzo hätte etwas mehr sensibler Feinschliff gutgetan, und dem kantablen Larghetto, das der weitausschwingende Ruhepol des Werkes ist, fehlte es etwas die Seele!
Mit Dmitri Schostakowitsch’ genialer 5. Symphonie nach der Pause sorgte Nézet-Séguin, der für den aus gesundheitlichen Gründen pausierenden Mariss Jansons eingesprungen war, allerdings für großes Aufsehen: Denn da kamen die unerwarteten Wendungen des Werkes, die grotesk anmutenden Märsche, die schrille Hektik und die beißende Schärfe, die gewaltigen Steigerungen, aber auch der introvertierte Klagegesang von abgründiger Trauer im Largo beeindruckend und packend zur Geltung.
Und weil es so schön war, legte er noch das hochromantische Vorspiel „Morgendämmerung über dem Moskwa Fluss“ aus Modest Mussorgskys Oper „Chowanschtschina“ als Zugabe nach. Grenzenloser Jubel! Helmut Christian Mayer
Václav Luks mit Werken von Bach und Zelenka
Bereits in den ersten beiden Jahren seiner Intendanz der Salzburger Festspiele verblüffte Markus Hinterhäuser mit seinen präzise abgestimmten Programmen. In der aktuellen Ausgabe demonstrierte er mit zwei außerordentlichen Konzerten im Mozarteum am Sonntag des Eröffnungswochenendes der „Ouverture spirituelle“, dass noch eine Steigerung möglich ist.
Kaum zu glauben, dass sich der große Bogen vom Barockkomponisten Jan Dismas Zelenka über Arvo Pärt bis zu Schostakowitsch spannen ließ. Wie die Teile eines Zahnrads fügte sich ein Werk zum anderen. Und musiziert wurde durchwegs fulminant.
Den Auftakt gab am Vormittag Václav Luks mit Werken von Bach und Zelenka. Mit den exzellenten Musikern und Choristen seines Originalklangensembles „Collegium 1704“ stellte er packend Johann Sebastians Bachs Kantate „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“, Zelenkas „Misere“ in c-Moll und dessen „Missa Omnium Sanctorum“ in a-Moll gegenüber. Aufwühlend machte Luks die Dissonanzen hörbar. Wie ein roter Faden war die Klage durch das Oboen-Solo (herausragend Katharina Andres) präsent.
Bei Zelenkas großer Messe „für alle Heiligen“, die letzte im Schaffen des böhmischen Tonsetzers, ließ Luks die Dramatik dieses Werks in jeder Passage hören. Ausgezeichnet intonierte der Chor „Collegium vocale 1704“, aus dem auch die hervorragenden Solisten hervorgingen. (Von Susanne Zobl)
Schnittke, Pärt und Schostakowitsch
Das zweite Konzert mutete vor der Pause wie das Pendant aus der Gegenwart zum Barockprogramm an. „Drei geistliche Gesänge“ von Alfred Schnittke wurden mit zwei Werken von Arvo Pärt konfrontiert. Nahtlos ließ Dirigent Howard Amann mit dem intensiven Chor des Bayerischen Rundfunks die beiden A-cappella-Stücke, Pärts „Magnificat“ und Schnittkes Gebetsvertonungen, ineinander übergehen. Bei Pärts großem „Miserere für Soli, gemischten Chor, Ensemble und Orgel“ breitete er mit dem „österreichischen ensemble für neue musik“ einen dichten Klangteppich aus. Vor dieser Aufforderung zur Buße gab es kein Entkommen. Unter den Solisten ließ Andrew Lepri Meyer aufhorchen.
Den anwesenden Arvo Pärt würdigte der Chor mit dem Lied „I heard a voice“. Ausgerechnet einem erklärten Atheisten kam der Höhepunkt dieser sakralen Konzerte zu. Mit Dmitri Schostakowitschs „Sonate für Viola und Klavier“(op. 147) schlossen Intendant und Pianist Markus Hinterhäuser und der Bratschenvirtuose Antoine Tamestit fulminant den Kreis zu den ans Jenseits gerichteten Werken.
Tänzerische Ausbrüche, schroffe Akkorde wandelten sich in puren Schönklang. In vollendeter Harmonie paarte sich der satte Bratschenklang mit den aufwühlenden Piano-Passagen. Welche Farben Hinterhäuser dem Flügel entlockte und wie Tamestit brillant seine Viola zum Singen brachte, geriet zur vollkommenen Hommage an Schostakowitsch. (Von Susanne Zobl)
Peter Sellars bringt „Lagrime di San Pietro“ in die Kollegienkirche
Unfassbar, welch tiefe Emotionen Musik auslösen kann, vor allem, wenn sie präzise in Szene gesetzt ist wie Orlando di Lassos „Lagrime di San Pietro“ in der Regie von Peter Sellars. Das A-cappella-Chorwerk eröffnete in der Kollegienkirche, parallel zum „Jedermann“ auf dem Domplatz, die „Ouverture spirituelle“, die Woche sakraler Musik, die den Salzburger Festspielen vorangeht. Sellars, der in diesem Sommer Mozarts „Idomeneo“ inszeniert und die Festspielrede hält, deutet das Weltabschiedswerk des erfolgreichen Renaissance-Komponisten als packendes, über die Zeiten gültiges Menschheitsdrama. Es geht um eine der essenziellen Fragen des Lebens. Wie stellt man sich den Verfehlungen seiner Vergangenheit?
Di Lasso handelte diese Problematik am Apostel Petrus ab. Der kam Zeit seines Lebens nicht darüber hinweg, dass er Jesus dreimal verleugnet hat. Wenige Wochen nach Fertigstellung dieser Komposition verstarb di Lasso. 20 Texte dieser 21 Madrigale stammen aus dem Epos „Lagrime“ des Dichters Luigi Tassilo. Sie geben eine Art inneren Monolog wieder, in dem Petrus beschreibt, wie er auf den sterbenden Christus am Kreuz blickt.
Sellars holt diese Apostelgeschichte auf überwältigende Weise ins Jetzt. Er setzt auf totale Reduktion und ein Höchstmaß an Präzision. Das beginnt bei der Beleuchtung. Zu jedem Vers erstrahlt das passende Licht (James F. Ingalls). Chor und Dirigent Grant Gershon agieren in einfacher, grauer Alltagskleidung (Kostüme: Danielle Domingue Sumi). Die 21 Sänger sind akkurat nach ihren Stimmlagen gruppiert und intonieren brillant. In jeder ihrer Gesten wird deutlich, wie genau Sellars die Partitur inszeniert. Während im letzten Text von der Enttäuschung des Erlösers die Rede ist, signalisiert die Musik Versöhnung. Die Sänger umarmen einander. Sellars zeigt: Erlösung ist möglich. Stehende Ovationen. (Von Susanne Zobl)
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