Um dann doch in echt auszuchecken, muss Ruggiero die Axt schwingen, als wäre er im Schwesternhotel in Stephen Kings “Shining”. Er zerhaut zuletzt die brüchig gewordene Liebes-Illusion und führt den zunehmend bitteren Kampf Alcinas gegen die Vergänglichkeit einer Niederlage zu.
Cecilia Bartoli in der Titelrolle legt ihre Markenzeichen-Frische ab, schält sich aus der lebenstrunkenen Fassade in die graue Farblosigkeit derer, denen die Zeit entfleucht ist. Und das Publikum der Wiederaufnahme-Premiere im Haus für Mozart würdigte den für Genreverhältnisse wagemutigen Händel und wohl auch die eigene Konsumationsleistung mit lautstarker Zustimmung.
Viel wurde vor einigen Jahren geschrieben über das ausufernde Serienschauen junger Menschen. Aber das stundenlange Binge Watching vor dem Streamingdienst ist, vergleichen mit Händel, eine Fingerübung: Viereinviertel Bruttostunden lang wird hier tatsächlich Liebe verhandelt, und man muss da schon sehr viel über sie wissen wollen.
Aber Regisseur Damiano Michieletto dröselt die unzähligen, in sich selbst verdrehten Verästelungen durchaus für heutige Augen auf: Die anfangs kühle Lobby-Optik wird aufgebrochen durch eine Glaswand (Bühne: Paolo Fantin). Und hinter der lauert eine Gegenwelt voller Menschenbilder. Es sind die sich ansammelnden Kurschatten des Lebens, die Kalkablagerungen der eigenen Liebesgeschichte: Alcinas vergangene Gespielen, verwandelt in Tiere, Bäume, barocke Leidensmenschen, sisyphushafte Steinträger.
Wer mit wem - Bradamante mit Ruggiero, Ruggiero mit Alcina, Morgana mit Bradamante - das wird zunehmend auch ein Kampf dagegen, in dieser Schattenwelt der Erinnerung zu verblassen.
Je später der Abend, desto mehr vermengen sich diese Welten: Ein blutender Baum wird nach vorne geholt und zum verschollenen Vater Obertos (der Sängerknabe Sheen Park darf lang aufbleiben und sich ins Gedächtnis des Publikums singen). Ganz am Schluss dann senken sich schwebende Scherben auf die Vorder-Bühne: Wir haben es durchschaut, das mit der Liebe: Love hurts.
Geholfen hat dabei eine Händel-Interpretation, die zeigt, wie dramatisch Originalklang sein kann: Die Musiciens du Prince-Monaco, 2016 von Bartoli gegründet, unter Gianluca Capuano führen dorthin, wo diese Musik besonders schön ist, in die Innehalt-Momente mit ihren langgezogenen Linien, ins von Bartoli atemberaubend gesungene “Mi restano le lagrime“, etwa.
Oder an die Grenzen des barocken Ausdrucks: Counter Philippe Jaroussky darf als Ruggiero auch angriffig sein, und nach viel Schöngesang Töne an den Rand des Gewöhnten setzen.
Er und auch Kristina Hammarström (als zuerst als Mann getarnte Bradamante) lassen heutige Genderdiskussionen gar nicht so neu erscheinen,
Sandrine Piau als Morgana bringt sich in Position als Alcina-Nachfolgerin.
Und Salzburg-Intendant Markus Hinterhäuser hat auch über das 100-Jahr-Jubiläum 2020 hinaus viel zu planen, kann aber zumindest ein sicheres Hakerl machen: Während Bartoli eine Barockopern-Serie an der Scala wegen der dortigen Ablöse von Alexander Pereira abgesagt hat, bleibt sie Salzburg bis 2026 erhalten. Mit bedingungsloser Liebe des Publikums darf gerechnet werden.
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