Über die Politik des Vergessens

Robert Schindels Roman "Der Kalte" ist ab Donnerstag im „Salon5“ zu sehen
Das Theater Nestroyhof Hamakom widmet sich ab Donnerstag einem "österreichischen Syndrom".

Glücklich ist, wer vergisst": Woher kommt es, dass Österreich so gut im Vergessen ist? Der Schriftsteller Robert Schindel setzt sich in seinem 2013 erschienenen Roman "Der Kalte" mit der österreichischen Kunst der Vergessens auseinander. Ort der Handlung ist das Wien der Waldheim-Zeit. Politiker, Journalisten und Theatermacher bestimmen das Geschehen, ihre Namen sind verschlüsselt, ihre Identitäten leicht zu erkennen. Im Zentrum steht ein Mann namens Johann Wais, der große Ähnlichkeit mit Kurt Waldheim und ebensolche Erinnerungslücken hat.

Schindel, dessen Roman ab heute im Hamakom-Theater gezeigt wird, analysiert im Gespräch mit dem KURIER, wo die österreichische Kunst des Vergessens wurzelt und warum er Wien die "Vergessenshauptstadt" nennt.

"Es hängt damit zusammen, dass Österreich historisch in der zweiten Reihe des großen Welttheaters saß. Der Wiener ist zum Zuschauer geboren. Während anderswo die großen Revolutionen und Umbrüche stattfanden, die Erneuerungen von Kunst und Literatur, ist der Wiener Zuschauer geblieben. Er ist einer, der bei jeder Hetz dabei ist. Und wer unterhalten wird, vergisst gerne."

Die Waldheim-Jahre

1986 fand die erste große Auseinandersetzung der Österreicher mit der NS-Zeit statt. Der ehemalige UN-Generalsekretär, dessen SA-Vergangenheit erst öffentlich wurde, als er ÖVP-Kandidat für das Bundespräsidentenamt wurde, bestand so lange auf seinen Erinnerungslücken, dass Bundeskanzler Fred Sinowatz schließlich erklärte: "Ich stelle fest, dass Kurt Waldheim nie bei der SA war, sondern nur sein Pferd." (Anm.: Das vom Künstler Alfred Hrdlicka gestaltete trojanische Holzpferd, das Erinnerungsaktivisten damals am Stephansplatz aufstellen ließen, ist nun im Salon5 wieder zu sehen).

"Waldheim hat nichts anderes getan als 100.000 andere Österreicher auch. Kein Schriftsteller hätte ein typischeres österreichisches Verhalten erfinden können," sagt Schindel. Frei nach dem Diktum des Historikers Fritz Keller, 1968 sei eine "heiße Viertelstunde" gewesen, diagnostiziert er: "1986 war unser 1968. Waldheim wurde eine unabsichtliche Aufklärungsmaschine." Die Opferthese, wonach Österreich 1938 "erstes Opfer Adolf Hitlers" gewesen sei, wurde erstmals infrage gestellt.

Und heute? Haben wir genug aufgearbeitet? Wie antisemitisch ist Österreich heute? Schindel: "Heute verbindet sich mancher Antiamerikanismus mit Antisemitismus. Und es ist merkwürdig: In der österreichischen Wahrnehmung hat sich der ,Jud Süß‘ zum ,süßen Juden‘ gewandelt. Andererseits herrscht in weiten Teilen Europas Antizionismus. Israel-Hass geht nicht selten mit Philosemitismus einher."

Info: Der "Salon5" widmet sich ab Donnerstag im Theater Nestroyhof Hamakom dem österreichischen Syndrom einer Politik des Vergessens. Zu den Höhepunkten gehört die Dramatisierung von Robert Schindels Roman "Der Kalte" (24., 26., 30., 31. 10. und 1., 2. 11.). Auch das vom Künstler Alfred Hrdlicka gestaltete trojanische Holzpferd, das Erinnerungsaktivisten damals am Stephansplatz aufstellen ließen, ist nun im Salon5 wieder zu sehen.

Link: www.hamakom.at

Kommentare