Als hätte Netrebko die vergangenen Jahre darauf hingearbeitet, dieses künstlerische Statement setzen zu können. Und dennoch wurde sie am Ende auch mit Buhs von der Bühne der Mailänder Scala verabschiedet. Eine völlig unterständliche Reaktion.
Politik spielte eine Rolle
Ja, man kann die Partie der Donna Leonora präziser singen, vor allem im ersten Akt, vielleicht wie einst die engelsgleiche Renata Tebaldi, an deren Tod vor 20 Jahren diese Aufführungen erinnern sollte. Man kann beckmesserisch einige Schärfen in der immer reifer werdenden Stimme bemängeln. Und wahrscheinlich hat auch die Politik bei dieser Reaktion eine Rolle gespielt, obwohl in der Opernszene eigentlich kaum jemand noch über ihre Haltung dem russischen Kriegsherren gegenüber diskutiert.
Was man aber nicht kann und wahrscheinlich auch nie gekonnt hat: Diese Rolle intensiver zu gestalten. Netrebko schafft auf wundersame Art den Spagat zwischen sängerischer Qualität, Ausdruck, Bühnenpräsenz und instinktiver interpretatorischer Tiefe. Sie war das Zentrum der Saisoneröffnung der Mailänder Scala, die traditionellerweise am 7. Dezember, dem Tag des Stadtheiligen Sant'Ambrogio, stattfindet.
"Inaugurazione" wird dieser Abend genannt, und er ist eine Mischung aus Salzburger Festspielpremiere, Opernball und Champions-League-Finale, mit Kartenpreisen wie für alle drei Events zusammen. Italienische Feschaks und Sternchen, Celebrities und wahre Persönlichkeiten, Politiker und Künstler (diesmal etwa die drei Tenöre Placido Domingo, Jose Carreras und Francesco Meli) werden von dutzenden Fernsehteams belagert. Am nächsten Tag wird in italienischen Medien mehr über Stoffe als über Stimmen berichtet - die Kunst liefert den Hintergrund, wie es manche ja so gerne haben.
Meyer muss Scala-Posten räumen
Es war die letzte Saisoneröffnung, für die Scala-Intendant Dominique Meyer verantwortlich zeichnete - noch im Februar 2025 muss er seinen Posten räumen, in erster Linie deshalb, weil er Franzose ist. Auch das ist Italien heute.
Meyer hat am berühmtesten Opernhaus der Welt einen erstklassigen Job gemacht, hat das Haus organisatorisch ins 21. Jahrhundert geführt, künstlerische Maßstäbe gesetzt und etwa in drei seiner letzten vier Saisoneröffnungen Anna Netrebko aufbieten können (als Lady Macbeth, als Elisabeth in "Don Carlo" und nun als Leonora). Und all das ohne Yusif Eyvazov.
Szenisch ist Meyer mit "La forza del destino" eine Sythese aus hohem, keinen Opernfan verschreckendem ästhetischem Niveau und zeitgemäßer Interpretation gelungen. Er hat Leo Muscato als Regisseur engagiert, der das dramaturgisch so schwierige, ja sogar wirre Werk von Giuseppe Verdi mit einer Klammer zusammenhält. Bei ihm geht es um die Geschichte des Krieges, der immer in die Tragödie führt. Es beginnt, passend zum Libretto von Francesco Maria Piave und Antonio Ghislanzoni, im 18. Jahrhundert - da, in der Zeit des österreichischen Erbfolgekrieges, ist "Forza" angesiedelt. Don Alvaro erschießt irrtümlich den Vater seiner Geliebten (daher "Die Macht des Schicksals"), daraus entsteht eine crazy Handlung mit rachsüchtigem Bruder, rekrutierenden Heeren, rettenden Mönchen und der Protagonistin als Einsiedlerin. Am Ende sind fast alle tot, ein Potpourri an Opern-Versatzstücken, das musikalisch Verdi am Zenit, aber in einem etwas bemühten Puzzle zeigt.
Wie ein Glücksrad
Leo Muscato springt pro Akt jeweils um ein Jahrhundert weiter, es wird in seinen Kriegsschilderungen immer brutaler, im Ersten Weltkrieg und auch in der Jetzt-Zeit. Die Bühne dreht sich wie ein Glücksrad, auch das passend zur Schicksals-Oper. Und am Ende kommt Netrebko und ruft zum Frieden auf. Dann gibt es zwar rasch noch zwei Morde, aber letztlich etwas Hoffnung: Ein toter Baum beginnt wieder zu blühen, man wähnt sich im "Tannhäuser". Eine szenisch starke Arbeit mit tollen Kostümen, einer immer karger und devastierter werdenden Bühne mit einem grandios geführten (und ebenso singenden) Chor.
An Netrebkos Seite ist Brian Jagde, der Einspringer für Jonas Kaufmann, ein kraftvoller, dramatischer, höhensicherer Don Alvaro mit viel Italianita. Ludovic Tezier ist ein phänomenaler Don Carlo di Vargas, der Racheengel dieser Oper: Er beweist neuerlich, dass er in diesem Fach der beste Bariton unserer Tage ist.
Valisia Berzhanskaya (Preziosilla), Alexander Vinogradov (Padre Guardiano) und Marco Filippo Romano (Fra Melitone) sind ebenso gut besetzt wie die Gestalter der kleineren Rollen.
Am Pult des klanglich famosen, farbenprächtig spielenden Scala-Orchesters steht Musikdirektor Riccardo Chailly, der auf Tempo und Dramatik setzt, dabei aber Differenzierung und Sensibilität nicht außer Acht lässt.
Ein meisterhafter Verdi-Abend, dem großen Haus mit der großen Geschichte gebührend.
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