Russischer Dirigent Currentzis: „Sonderfall“ zwischen verhärteten Fronten

Russischer Dirigent Currentzis: „Sonderfall“ zwischen verhärteten Fronten
Der griechisch-russische Dirigent setzt mit Musik Zeichen - das Rote Kreuz aber will nicht bei Benefiz dabei sein.

Im Jänner war Valery Gergiev noch ein „Glücksfall“ für München, wie der dortige Oberbürgermeister betonte. Ein paar Wochen später nach Kriegsbeginn in der Ukraine (und einem letztlich verstrichenen Ultimatum, sich von Putin zu distanzieren) verlor Gergiev nicht nur seinen Job als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, sondern auch alle anderen westlichen Engagements.

Nur etwas halbherzig verurteilte Superstar Anna Netrebko anfangs die Invasion, es folgten Ausladungen und eine „freiwillige“ Gesangspause. Als sie dann deutliche Worte gegen das Blutbad in der Ukraine fand, wurde sie in ihrer Heimat als „Volksverräterin“ bezeichnet; Auftritte in Russland sind unmöglich.

Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wie diffizil auch in der Kultur die Lage für Intendanten ist. Die Gretchenfrage „Wie hältst Du es mit den Russen?“ ist auch in der Klassik allgegenwärtig. Die Antworten fallen unterschiedlich aus. So bezeichnete der besonnen agierende Konzerthauschef Matthias Naske den griechisch-russischen Kultdirigenten Teodor Currentzis mit Lebensmittelpunkt ist Perm sowie dessen Ensemble musicAeterna als „Sonderfall“, von dem er sich „eine Geste“ erhoffe.

Benefiz

Denn Currentzis erhält zwar kein Geld vom russischen Staat, er wird aber von einer Bank finanziert, die auf der EU-Sanktionsliste steht. Diese „Geste“ – Currentzis wollte sie am 12. April im Wiener Konzerthaus mit einem Konzert unter dem Titel „Ein Zeichen für Hoffnung & Frieden“ setzen. Der Erlös sollte der Internationalen Föderation der Rotkreuz-und Rothalbmond-Gesellschaften zugutekommen, die sich aber laut Berichten nicht am „Whitewashing“ einer Bank beteiligen wolle.

Russischer Dirigent Currentzis: „Sonderfall“ zwischen verhärteten Fronten

Die Musik also als Brückenbauer? Ja, auch, zumal Currentzis etwa mit dem ukrainischen Komponisten Alexander Shchetynsky befreundet ist und dessen Werk „Glossolalie“ in Abänderung des Programms an den Beginn seines Gastspiels mit dem SWR Symphonieorchester (er ist auch dort Chefdirigent) stellte. Eine Geste eben.

Bravour

Mit Jörg Widmanns herrlich gebautem, sehr humorvollen „Viola Concerto“ ging es im Konzerthaus weiter, wobei hier der Solist Antoine Tamestit nicht nur durch das Orchester wanderte, sondern in allen musikalischen Dialogen an seiner Bratsche brillierte. Dies somit als deutsch (Widmann)-französisches (Tamestit) Freundschaftbekenntnis.

Einige, oft nur überreagierende Veranstalter forderten in jüngerer Vergangenheit einen generellen Boykott russischer Musik. So setzte das Prager Nationaltheater beispielsweise die geplante Premiere einer Tschaikowsky-Oper ab. Dass der homosexuelle Tschaikowsky (1840 bis 1893) im homophoben Putin-Russland wohl kaum auf der Seite des jetzigen Machthabers gestanden wäre, wurde dabei glatt übersehen.

Currentis aber brachte in Wien noch die fünfte Symphonie von Dmitri Schostakowitsch zur Aufführung. Einer jener Künstler, die extrem unter dem Terror Stalins gelitten haben. Noch ein Zeichen.

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