Roman "Miami Punk": Die Klimakatastrophe im Inneren

Roman "Miami Punk": Die Klimakatastrophe im Inneren
In Miami verschwindet das Meer: Hochaktueller wird Lektüre selten.

In einem haben die Anti-Apokalyptiker sicher Recht: Wir haben bisher gelernt, dass befürchtete Katastrophen nicht eintreten.

Geschenkt! Interessanter ist ja die Frage, was passiert, wenn es einmal nicht so ist. Wenn uns die Katastrophe ereilt. Da blinzelt man schon viel weniger selbstgewiss in die Zukunft: Die Aussicht etwa, dass sich das Klima nicht (schlimm genug) wandeln, sondern vielleicht auch plötzlich kippen könnte, dass der übermächtige Apparat Erde um uns herum zum Kolbenreiber ansetzt, ruft eine besondere Stimmung der Machtlosigkeit hervor.

Um genau dieses Gefühl ist „Miami Punk“ des deutschen Autors Juan S. Guse gebaut, ein im Frühjahr erschienener Roman mit 640 Seiten, der angesichts der anschwellenden Klimawandeldiskussion neues Lesen verdient.

Und auch angesichts der Urlaubszeit. Denn in „Miami Punk“ verschwindet das Meer, was jetzt strandaufenthaltsmäßig nicht super ist, aber auch darüber hinaus nicht. Denn in und um Miami verändert dieser ansatzlose, rätselhafte, unbeherrschbare Rückzug der Natur die Menschen. Es beginnt eine emotionale Ebbe, von der man beim Lesen weiß, dass sie aus dem Inneren kommt.

Und dass sie auch jetzt schon dort verborgen ist.

Fadenscheinig

Guse löst einen Faden aus dem sozialen Gewebe heraus, in dem wir uns bewegen, und wie in einem Slapstickwitz zerfällt das ganze Kleidungsstück. Plötzlich tauchen, unerklärlich, überall in Miami Alligatoren auf. Und, noch unerklärlicher, ausgerechnet die Ringer-Vereine nehmen den Kampf mit ihnen auf, in ihren eigenartigen Kampfanzügen, mit dem Eifer einer freiwilligen Naturbekämpfungsfeuerwehr.

Auch die Jobs verschwinden – Miami ist eine Hafenstadt ohne Hafen, eine Touristenstadt ohne Touristen.

Aber sich das einzugestehen ist den Menschen zu viel: In einer Art gemeinsamer Realitätsverleugnung gehen die Menschen weiter arbeiten, auch wenn es nichts zu tun gibt und der Briefkasten mit Mahnungen und Kündigungsschreiben überfüllt ist.

Gamer-Nostalgie

Und nicht nur das Meer verschwindet. „Miami Punk“ verhandelt vieles mehr, unter anderem auch etwas, bei dem mancher Literaturkritiker das fade Aug’ kriegt: Computerspiele nämlich, wichtigste Populärkultur und blinder Fleck in Literatur und Kulturberichterstattung. Längst ist auch das Gamen – wie die gesamte Pop- und Hochkultur – von Nostalgie durchtränkt: Menschen in der Mittlebenskrise sehnen sich nach den Kulturerlebnissen ihrer Jugend zurück. In „Miami Punk“ versammeln sie sich alternde Profis zu einem Abschiedsturnier für ein veraltetes Game, das sonst niemand mehr spielt. Die Ernsthaftigkeit und Auskennerschaft, mit der Guse das Turnier und auch die emotionale Aufladung des Spiels beschreibt: Es war hoch an der Zeit und tut dem Leser, aber auch der Literatur gut, dass ein Autor sich dieses Themas mit derart selbstverständlicher Kompetenz annimmt.

Eingebettet ist dies in eine große Erzählung über die Sehnsucht nach esoterischer Erlösung, über Liebe und Technologie, über die Berufswelt und jene Menschen, die in Dauerwerbesendungen in die Kamera grinsen. Ein zeitgemäßeres Buch werden Sie heuer nicht lesen. g. leyrer

Roman "Miami Punk": Die Klimakatastrophe im Inneren

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