Rocken bis ins Grab – einmal und nie wieder

Bruce Springsteen: Mit 67 noch höchst aktiv
Es hatte gute Gründe, dass Musiker wie Mick Jagger oder Paul McCartney zu Ikonen wurden. Sie hatten Voraussetzungen, die es nie wieder geben wird.

"Hope I die before I get old" sang Who-Frontmann Roger Daltrey 1965. Diese Zeile aus dem Who-Klassiker "My Generation" wurde zum Symbol der Jugendrebellion der 60er-Jahre, zum Manifest der Musiker, die diese Bewegung maßgeblich mitgestalteten.

Viele von diesen Künstlern sind jetzt im Pensionsalter, aber trotzdem noch auf Tour und höchst erfolgreich. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass genau die Musiker, die eine Ära, ja sogar eine Industrie (siehe Interview unten) auf ihrer jugendlichen Haltung begründeten, die Ersten und gleichzeitig die Letzten sind, die damit alt werden konnten.

Denn vor allem durch die digitale Revolution sind viele der günstigen Voraussetzungen dafür, dass Rock in den 60er-Jahren derart aufblühen und später zu einem Massenphänomen werden konnte, nicht mehr vorhanden.

Originell ist rar

"Heute kann jeder mit dem Laptop Musik machen und sie ins Internet stellen", sagt Michael Huber, Professor für Musik-Soziologie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. "Weil damals die Plattenfirmen 90 Prozent ablehnten und nur zehn Prozent vom Rest bekannt wurde, hörten wir ein Prozent von dem, was es gab. Jetzt sind es 100 Prozent."

Rocken bis ins Grab – einmal und nie wieder
British veteran rockers The Rolling Stones lead singer Mick Jagger sings next to band member Keith Richards, as they open their North American "Zip Code" tour in San Diego, California May 24, 2015. REUTERS/Mike Blake
Dieses Überangebot bedeutet einerseits, dass es heute schwer ist, als Musiker noch originell zu sein. Während die Beatles und die Rolling Stones eine neue, blanke musikalische Landkarte beschrieben, ist heute jeder Millimeter darauf ausgelotet. Es bedeutet auch, dass sich das Budget, das für Musik ausgeben wird, in einer zersplitterten Szene auf viel mehr Acts verteilt – wenn überhaupt Geld dafür ausgegeben wird.

Heute ist Musik überall gratis verfügbar, man wird in Kaufhäusern und Liften permanent damit beschallt. So hat sie für die Teenies keinen Sachwert und auch keinen Stellenwert mehr. Musik ist nichts Besonderes. Zusätzlich nehmen die Twitter-Fotos der Stars, die aus Schlaf- und Badezimmern posten, den Musikern und ihren Werken jedes mysteriöse Flair.

Stars sind sterblich

"Die bedingungslose Hingabe der Fans flaute ab, als sie merkten, dass Rock-Götter auch nur Sterbliche sind, dass manche Drogen-Trips böse enden und die Gegenkultur nicht alles halten kann, was sie versprochen hat", weiß Alan Edwards, der als CEO der PR-Agentur Outside-Organisation mit David Bowie, den Rolling Stones und Prince gearbeitet hat.

Rocken bis ins Grab – einmal und nie wieder
(FILES) This file photo taken on January 19, 2006 shows Lou Reed (L) and David Bowie (R) attending the opening of the Lou Reed NY photography exhibit at the Gallery at Hermes in New York City. British rock music legend David Bowie has died after a long battle with cancer, his official Twitter and Facebook accounts said on January 11, 2016. Bowie died on Januray 10 surrounded by family according to his social media accounts. The iconic musician had turned 69 only on January 8, which coincided with the release of "Blackstar", his 25th studio album. / AFP / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Andrew H. Walker
Auch für Musiker Jochen Distelmeyer ist die starke Identifikation der Fans mit Musik Geschichte: "Wir haben uns durch die Musik noch verpflichtet gefühlt. Denn sie hatte das Versprechen, mit ihr zu einem anderen Leben durchzubrechen, die Welt zu verändern und Erkenntnisse zu bekommen. Sie war die Verheißung von einem Ort, an dem wir Frieden und Gleichgewicht finden. Durch die soziale Interaktion im Internet hat jetzt der virtuelle Raum diesen Ort abgelöst."

Rebellieren ist unnötig

Aber, meint Michael Huber, es sei für die Jugend auch gar nicht mehr so notwendig, in eine andere Welt zu fliehen und sich von den Erwachsenen abzugrenzen.

"Wir leben in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft, in der Individualität großgeschrieben wird, und man alle Möglichkeiten zur Entfaltung hat – ganz im Gegensatz zu der Welt mit vielen Verboten und Regeln, in die der Rock damals platzte. So muss die Musik kein Ventil für unterdrückte Wünsche und Träume mehr sein."

Die individualisierte Gesellschaft hat für Alan Edwards auch zur Folge, dass die diversen Pop-Musik-Stile von heute nicht mehr so eng mit Mode-Strömungen verbunden sind: "Wenn man in den 60ern wie ein Freak aussah, war das wie ein Ehren-Abzeichen. Heute ist anders aussehen normal. Wir sind alle Wochenend-Hippies."

Sicher ist sicher

Für Huber ist die Musik-Mode-Liaison zerbrochen, weil sich die Identifikations-Findung der Jugend verlagert hat: "Heute signalisiert man anstatt in der Öffentlichkeit lieber im Internet, wer man ist. Denn damit kennen sich die Eltern nicht aus."

Warum hören aber auch Teenager noch gerne die Platten der Rock-Ikonen? " Wir leben ohnehin in einer Retro-Gesellschaft. Und die Vielfalt im Musik-Angebot überfordert sie. Da ist es leichter, sich an das zu halten, was sich schon als gut erwiesen hat."

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