Wie beurteilen Sie die Maßnahmen der Bundesregierung?
Aus dem Volk der acht Millionen Fußball-Nationaltrainer wurde eines mit ebenso vielen Epidemiologen – ich beneide Politiker keine Sekunde. Die Umsatzsteuer-Senkung auf fünf Prozent war eine gute Maßnahme – zumindest für jene Branchen, die Umsätze haben. Der soeben beschlossene Veranstalter-Schutzschirm ermöglicht etwas Planungssicherheit, was überaus wichtig war. Die Gleichbehandlung aller Veranstaltungsorte, ob Wiener Stadthalle mit einer Sitzplatz-Kapazität von 12.000 oder Dorfsaal mit ein paar Hundert, ist völlig unsachgemäß. Die Erste Bank Open in der Riesen-Halle D mit ihren 10.000 genauso auf 1.500 Besucher zu beschränken wie jeden Hotel-Ball-Saal ist einfach unsinnig.
Opernhäuser haben offen, Kabarett- und Theaterbühnen werden bespielt. Warum finden in den Hallen der Wiener Stadthalle keine Veranstaltungen statt?
Das stimmt so nicht, es gab seit dem Lockdown bis dato das Street Food Festival, eine Hauptversammlung sowie die Messe architect@work. Darüber hinaus ist es eine Frage der Struktur, denn die Wiener Stadthalle produziert nicht selber, sondern steht Veranstaltern als Location mit viel Know-how und Herzblut zur Verfügung. Aber es liegt auf der Hand, dass sich bei derzeit erlaubten 1.500 Besuchern eine Show, die mit 10.000 kalkuliert und produziert wurde, betriebswirtschaftlich für Musiker und Veranstalter nicht rechnen kann. Uns sind da die Hände gebunden – wir können keinen zwingen.
Immer wieder werden mögliche Nutzungen für die Wiener Stadthalle ins Spiel gebracht – zuletzt kam von der ÖVP Wien der Vorschlag, eine Markthalle zu machen. Wird man bald in die Stadthalle einkaufen gehen?
Die Wiener Stadthalle wird jedenfalls bis zur Eröffnung der neuen Arena in St. Marx exakt dieselbe Nutzung wie die vergangenen 60 Jahre haben. Daran arbeiten wir und das wird gelingen, es wird wieder Shows und Konzerte in der Wiener Stadthalle geben. Wie dann eine Neuausrichtung ausschauen wird, wird man nach einer ausführlichen Bestandsanalyse, die dieser Tage gemeinsam mit der Wien Holding gestartet wird, sehen. Und dann wird man auch wissen, welche Nutzungen sinnvoll und möglich sind.
Von welchen Kriterien hängt das im Detail ab?
Davon, welche technischen Notwendigkeiten zu machen sind und was die einzelnen Sanierungsschritte kosten. Wenn sich etwa herausstellen sollte, dass eine Erhöhung der Traglast des Daches, wo derzeit 100 Tonnen hängbar sind, zig Millionen kosten würde, dann wird das als Entscheidungsgrundlage in eine Neuausrichtung einfließen. Und so kann man das über die verschiedenen technischen Gewerke hin entsprechend durchdeklinieren. Aber ich glaube tatsächlich, dass die Wiener Stadthalle Mittelpunkt eines neu belebten, hippen Viertels werden könnte. Immerhin ist das Museumsquartier jetzt 20 Jahre alt! Ein neues, nicht-innerstädtisches Begegnungsgrätzl mit den Anforderungen des 21. Jahrhunderts zu gestalten, wäre eine große Herausforderung, wo die Wiener Stadthalle der Nukleus sein könnte.
Dass das Stadthallenviertel zu einem belebten, modernen und grünen Grätzl werden soll, steht auch in Ihrem damaligen Bewerbungskonzept als Vision für 2020. Vieles wurde noch nicht umgesetzt. Woran scheitert es?
Dass man das Grätzl rund um die Wiener Stadthalle, das wunderschön ist, bespielen sollte, sage ich auch heute. Stadtplanung machen Berufenere, die Wiener Stadthalle kann vielleicht einen kleinen Beitrag dazu leisten. Immerhin war das die Vision im Jahr 2012, aber ich bin optimistisch, dass diese Vision 2030 Realität ist.
Wie wird sich das Coronavirus auf die Gesamtbranche auswirken? Was wird es nach der Pandemie nicht mehr geben, was wird sich verändern?
Die Thesen gehen derzeit diametral auseinander. Erste These: Nachdem die Pandemie abgeklungen ist, erinnert sich niemand mehr daran, zumal durch die Impfung und Medikamente auch keinerlei Gefahr mehr davon ausgeht. Alles ist wie früher, alles bleibt besser. Andererseits, und das ist eine Bedrohung natürlich auch für unser Businessmodell, gibt es Thesen, die sagen, dass sich sehr vieles ins Digitale verlagert hat und auch danach dort bleiben könnte. Die Zusammenkünfte, die notwendigen emotionalen Treffen finden dann nur noch im privaten Bereich statt – mit dem größten aller Full-HD-Fernseher und Boxen, die fast schon von selber laufen können. Warum soll ich da noch mit der U-Bahn in eine Halle fahren, mich dort anstellen, Tickets abholen, die 100 Euro oder mehr gekostet haben, warten, bis das Konzert beginnt; reindrängen, schwitzen und mich über den nur mäßig gelungenen Sound ärgern? Und das Lieblingsbier gibt es dann auch nicht …
Ist mit Corona auch die Liebe zum gemeinsamen Live-Erlebnis außer Haus geschrumpft?
Das derzeit ist noch nicht absehbar. Ich sehe in den Hochkultur-Tempeln wie Staatsoper, Burgtheater etc. eine relativ hohe Besucherauslastung, die Menschen wollen das haben. Andererseits sieht man, dass Kartenkäufe von länger laufenden Shows eher aufgeschoben werden. Lieber Abwarten, scheint die Devise.
Was kann man gegen die große Ungewissheit tun?
Solange das Modell das ist, dass du 10.000 Tickets verkaufen musst, um eine Show mit Pyrotechnik, Special Effects etc., so wie wir sie gewohnt sind, hinzustellen, wird man diese 10.000 Menschen brauchen. Daher hängt es davon ab, wie lange diese Pandemie noch dauert, und wie viel die Leute dann für sich mitnehmen.
Braucht es angesichts dieser Entwicklungen überhaupt noch die neue Halle in St. Marx?
Es braucht in Wien jedenfalls eine Halle, die alle Stückeln spielt. Ich bin bei Konrad Paul Liessmann, wiederhole seinen Appell, nämlich, es nicht zuzulassen, von diesem Virus so beherrscht zu werden, dass man das Nachdenken über das Schöne vergisst. Und um mit einem zweiten Philosophen zu antworten: „You can’t cancel the Rock ’n’ Roll“.
Wann rechnen Sie mit der ersten ausverkauften Wiener Stadthalle, mit dem ersten großen Event nach Corona?
Das ganz große 16.000er-Konzert mit 10.000 Stehplätzen wird so bald nicht stattfinden. Ich hoffe, dass im Frühjahr 2021 wieder Sitzplatzvarianten mit einer Auslastung von 70 bis 80 Prozent der Kapazität möglich sein werden.
Sollten sich Künstler, die mit einer üppigen Bühnenshow durch die Welt tingeln, den neuen Rahmenbedingungen anpassen?
Das machen einige bereits, aber ich kann Justin Bieber oder Helene Fischer nicht den Auftrag erteilen, sich etwas zu überlegen. Natürlich ist mehr Flexibilität wünschenswert – allerdings, wenn eine Show mit 40 Lkw und 100 Mitarbeitern auf den Weg gebracht wird, so ist die Flexibilität begrenzt. Natürlich gibt es Alternativen wie zum Beispiel Unplugged-Konzerte, nur viele sind bereits anderes gewohnt und wollen ein Spektakel geboten bekommen, wenn sie 80 Euro aufwärts pro Karte zahlen.
Kommentare