Roščić: Vorwürfe, Vorurteile und Vorlaufzeiten

Bogdan Roscic
Nicht alle Diskussionen um den künftigen Direktor sind von Faktensicherheit geleitet.

"Kommt jetzt ,Starmania‘ in die Staatsoper?" Wie nah das Haus am Ring den Österreichern immer noch ist, zeigen die emotionsgeladenen Postings und Kommentare nach der Bestellung von Bogdan Roščić zum Staatsoperndirektor ab 2020.

Reibepunkt dabei ist in vielen Fällen Roščić’ einstige Tätigkeit für das ORF-Radio Ö3, dessen Verachtung für Musikkenner jeder Sparte zum guten Ton gehört. Viele Opernfans wünschen sich einen im Apparat groß gewordenen Erfahrungsträger für die Staatsoper. Ob man ein Haus geleitet haben muss, um an der Spitze der Staatsoper zu stehen, ist eine Debatte, die zu führen sich lohnt.

Zwei andere oftmals in der Online-Debatte geäußerte Kritikpunkte aber bezeugen Unsicherheiten darüber, wie das Operngewerbe funktioniert. So wird die Bestellung knapp vier Jahre im Vornherein vielerorts als "Freunderlwirtschaft" interpretiert – denn auch sonst würden keine Jobs so viel früher vergeben. Ungeachtet etwaiger partei- oder kulturpolitischer Beweggründe bei der Bestellung geht dieser Vorwurf jedoch ins Leere: Im obersten Segment des Opernbusiness sind derartige Vorlaufzeiten unbedingt notwendig. Denn die besten Sänger, Dirigenten und Regisseure sind auf Jahre hinaus ausgebucht. Rolleneinstudierungen, stimmliche Entwicklungen und auch die Auseinandersetzung mit Werken sind zeitintensive Prozesse. Und so muss ein Intendant Jahre vor der ersten Saison beginnen. Auch Dominique Meyer begann drei Jahre vor seiner Amtszeit, für die Staatsoper zu planen.

Auslastung

Der andere Punkt der Diskussion ist der Verweis auf die rekordverdächtige Auslastung der Wiener Staatsoper (zuletzt 98,59 Prozent). Jede Verringerung wäre ein unnötiges Eingreifen in eine Erfolgsgeschichte, heißt es.

Nicht im Vordergrund der Diskussion stehen die Nuancen dessen, was Auslastung eigentlich aussagt: Diese ist weit variabler, als es den Anschein hat, und daher kein besonders sicherer Indikator für Erfolg. Die Sitzplatzauslastung gibt im Kern nur an, wie viele der angebotenen Sitze besetzt sind. So können sowohl die Zahl der angebotenen Tickets pro Abend als auch der Ticketpreis variieren, ohne dass dies durch die reinen Auslastungszahlen widergespiegelt würde.

International üblicher ist daher die Finanzauslastung: Die gibt an, wie viel von der möglichen Höchstsumme an Einnahmen ein Abend lukriert hat. So können bei 80 Prozent Sitzplatzauslastung zum Vollpreis mehr Einnahmen lukriert werden als bei 100 Prozent Auslastung, die aber über Ticketreduktionen herbeigeführt wird.

Auch lässt sich der Publikumszuspruch so besser messen: Die Finanzauslastung zeigt, wie viel die Aufführung dem Publikum wert ist. Daher ist die Tatsache, dass die Staatsoper zuletzt einen Einnahmenrekord (34,6 Millionen Euro) verzeichnet hat, ein weit besseres Indiz für den Erfolg Meyers, das in der Diskussion herangezogen werden sollte, als die Auslastung.

Die Besetzung der Wiener Staatsoper ist eine internationale Nachricht – und auch Anlass für einordnende Worte in mehreren Medien. So verweist etwa die New York Times auf die fehlende Erfahrung des künftigen Staatsoperndirektors Bogdan Roščić als Musiktheater-Chef, obwohl er das Haus "durch unsichere Zeiten" wird führen müssen.

Und die Entscheidung von Kulturminister Thomas Drozda, den derzeitigen Chef Dominique Meyer nicht weiterzubeschäftigen, habe der Angelegenheit einen "Geruch der Intrige" beigefügt.

Auch der Musikkritiker der Welt, Manuel Brug, übt auf der Webseite der Zeitung Kritik an der Bestellung. Diese sei "ein gefährliches Spiel": "Eine neue Politikergeneration, zum Teil auch Quereinsteiger, scheint mit solchen überraschenden, Wind machenden, aber auch viel Stirnrunzeln und Proteste innerhalb der Häuser erzeugenden Berufungen vor allem ihr Unbehagen an den Institutionen zu formulieren, deren Inhalte ihnen fremd geblieben sind und die jetzt durch neue, angeblich frische Namen einmal durchgeschüttelt und neu aufgestellt werden sollen."

Gesetzesfragen

Die FPÖ stößt sich derart an der Besetzung, dass sie eine parlamentarische Anfrage ankündigt: Es geht dabei darum, dass sich Roščić nicht beworben hat, sondern angesprochen wurde. Für die FPÖ ist das "ein äußerst fragwürdiges Auswahlverfahren".

Ein Teil der Anfragebeantwortung wird wohl das Bundestheaterorganisationsgesetz sein. In diesem steht, dass mit der künstlerischen Leitung "auch Personen betraut werden können, die sich nicht im Rahmen der Ausschreibung um diese Funktion beworben haben".

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