Regisseurin Sara Ostertag: „Kinder müssen unfassbares Leid aushalten“
Von der Osterinsel zu Sara Ostertag ist es nicht weit: 2011 gründete die Regisseurin mit anderen das Künstlerinnenkollektiv „makemake“, das man, auch wenn das Machen naheliegt, nicht englisch aussprechen sollte. Denn Makemake ist ein Fruchtbarkeitsgott der Osterinsel.
Mit „makemake“ realisiert Sara Ostertag kontinuierlich freie Theaterproduktionen. Nebenbei arbeitet sie als Dramaturgin für Florentina Holzinger – so auch bei dem mit dem Faust und anderen Preisen bedachten Spektakel „Ophelia’s Got Talent“. Aber Sara Ostertag inszeniert auch viel an Stadttheatern. Am Freitag hat ihre Dramatisierung von Ilse Aichingers Roman „Die größere Hoffnung“ in St. Pölten Premiere.
KURIER: Wie kamen Sie überhaupt zur darstellenden Kunst?
Sara Ostertag: Nach der Matura wusste ich nicht so ganz, was ich machen will. Ich hab’ viel getanzt, Ballett und so Sachen. Vielleicht muss ich damit was machen? Aber das alles war sehr vage. Und dann hat mir eine ältere Freundin, eine Schauspielerin, geraten, mich an Schauspielschulen zu bewerben. Das hab’ ich auch getan. Ich bewarb mich an vier Schulen – und an dreien wäre ich genommen worden.
Auch am Max Reinhardt Seminar?
Nein, ich wollte nicht in Wien bleiben. Ich hab’ die genommen, die am weitesten weg war. Und das war Zürich. Und nach einem Jahr habe ich dort von Schauspiel auf Regie gewechselt – zu Milo Rau.
Für den Master gingen Sie nach Amsterdam und studierten Choreografie. Dort lernten Sie Florentina Holzinger kennen?
Nein, wir kannten uns schon davor aus Wien. Wir gingen zwar in andere Schulen, aber die Freundeskreise haben sich überschnitten.
Es kam aber zur Kooperation?
Wir haben Sachen gemacht, das war so ein Ausprobieren. Bei „Recovery“ hab’ ich mitgearbeitet – und so richtig ab „Apollon“ 2017. Ob ich allerdings auch an der Oper, die nächstes Jahr auch bei den Wiener Festwochen zu sehen sein wird, mitarbeite, weiß ich noch nicht. Familiär bin ich derzeit sehr gefordert.
Zuvor hatten Sie bereits das Kollektiv „makemake“ mitbegründet.
Das war noch in Zürich – zusammen mit Michèle Rohrbach und anderen. Wirklich gefunden hat sich das Team dann in Wien.
Und Sie inszenierten viel – in Mainz, Genf, Düsseldorf, Luxemburg ... Das ging enorm schnell.
Weil ein Dramaturg eine meiner Inszenierungen an der Universität gesehen hat. Er hat mich quasi von da an mitgenommen. Seitdem geht das immer so ein bisschen parallel.
Sie beschäftigen sich in erster Linie mit feministischen Themen – und mit dem Nationalsozialismus. Daher wollten Sie „Die größere Hoffnung“ dramatisieren?
Das will ich schon seit zehn Jahren. Mir fiel das Buch in Amsterdam in einem Antiquariat in die Hände – und ließ mich nicht mehr los. Aber der Text war für eine Dramatisierung gesperrt. Nun haben wir nochmals angefragt – und jetzt ging es.
Auch wenn es viele Dialoge gibt: Sperrt sich der Roman nicht gegen eine Dramatisierung? Aichinger hat eine sehr poetische Sprache …
Es gibt Passagen, da geht das trotz der Poesie sehr gut, weil die Bilder klar sind. Aber ja, es gibt auch Teile, wo zwischen realer Handlung und metaphorischer Überschreibung extrem gesprungen wird. Das ist schwierig. Aber ich finde es total spannend, Lösungen zu finden.
Aichinger beschreibt das Schicksal von Kindern im Holocaust, verortet die Verfolgung aber nicht explizit in der NS-Zeit. Vieles wird nur angedeutet. Daher bekommt der Roman eine größere Allgemeingültigkeit.
Genau. Es gibt Anspielungen auf Wien, aber sie sind nicht wichtig. Es ist eine Geschichte über die unfassbare Resilienz des Überlebens. Und das ist auch in der momentanen politischen Situation wichtig. Wenn ich daran denke, welchen traumatisierenden Situationen Kinder in allen Kriegen, die im Moment passieren, ausgesetzt sind. Sie müssen unfassbares Leid aushalten. Und gleichzeitig sind sie so stark im Umgang mit solchen Situationen. Ich habe das nirgendwo ergreifender gelesen als in diesem Buch.
Es gibt auch Traumsequenzen und Brüche in der chronologischen Abfolge. Wie setzen Sie das um?
Meine dreijährige Tochter hat Krebs, ist schon länger im St. Anna. Die kleinen Kinder dort spielen, wenn sie nicht gerade völlig deprimiert sind, unentwegt. Sie spielen Arzt. Und dann verarzten sie die Erwachsenen. Sie verarbeiten so, was ihnen widerfährt und was sie aushalten müssen. Das arbeitet natürlich andauernd in mir. Und das ist auch der Ansatz meiner Inszenierung: Die Kinder spielen versteckt auf einem Dachboden – das, was sie erlebt haben, und das, was sie sich vorstellen. Darum spielen die Kinder alle Rollen, auch den Konsul, und jede Schauspielerin spielt einmal Ellen, die Hauptfigur. Und die Kinder verwenden all die Kleidungsstücke, die sie in ihren zerbombten Zimmern noch an Verkleidungsmaterial gefunden haben. Es gibt andauernd den Bruch zwischen dem Kindlich-Sein und den wahnsinnig ernsten Sätzen, die sie raushauen. Sie können deren Dimension nicht einordnen, aber man spürt, dass sie irgendwie doch wissen, was sie bedeuten. All das ist im Text drinnen.
Inszenieren oder dramatisieren Sie generell lieber?
Es ist tatsächlich so, dass Romanstoffe schneller auf mein Interesse stoßen. Und mir werden von den Theatern öfter solche Dinge angeboten. Aber ich finde auch Stücke total spannend. Das sind zwei unterschiedliche Arbeitsprozesse.
Wie geht es mit Ihnen weiter?
Ich will mich derzeit nicht viel fortbewegen. Ich werde in Linz inszenieren und mit „makemake“ etwas über Maria Lassnig machen.
Sie hatten einst Interesse, den Dschungel Wien zu leiten.
Ich wurde angefragt, entschied mich aber dagegen. Weil der Kampf um eine bessere Struktur ein ziemlich aussichtsloser gewesen wäre.
Zuletzt bewarben Sie sich fürs Schauspielhaus. Und nun wurde das Volkstheater ausgeschrieben.
Ich bin eben, wegen meiner Tochter, derzeit sehr zurückhaltend. Aber prinzipiell finde ich die Aufgabe enorm spannend. Vor allem, weil in Wien zuletzt fast alle großen Häuser mit Männern besetzt wurden.
Mit Herbert Föttinger, Matti Bunzl, Stefan Herheim ... Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler bestellte zudem Kay Voges und Milo Rau.
Ich sage nicht, dass diese Männer eine schlechte Wahl sind. Milo Rau ist eine ungemein charismatische Person. Aber es wäre sehr wünschenswert, wenn eine kompetente, kreative Frau bestellt würde. Es ist eine kulturpolitische Aufgabe, Geschlechtergleichheit herzustellen – nicht nur in der freien Szene, sondern auch an den repräsentativen Institutionen.
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