Kušej: "Die kommenden Tyranneien sind verdammt nah"

Martin Kusej: "Ich gehe mit dem Burgtheater schon schwanger."
Der Regisseur Martin Kušej galt als Favorit für die Direktion des Burgtheaters – und wurde es nicht. Zumindest inszeniert er wieder an der Burg: Am 22. Dezember hat Arthur Millers "Hexenjagd" Premiere.

KURIER: Warum haben Sie sich gerade die "Hexenjagd" von Arthur Miller ausgesucht? Martin Kušej: Ich trage das Stück schon lange mit mir herum. Mich hat die Hauptfigur immer interessiert: Dieser Mann, John Proctor, findet sich plötzlich als Beschuldigter in einem Gerichtsprozess wieder, der so absurd und so unfassbar ist, dass es einem kafkaesken Albtraum nahekommt. Und diesen Albtraum habe ich manchmal auch: in eine solche Situation zu geraten.

In eine unlogische Situation, die nicht zu kontrollieren ist?

In eine Situation, in der jeder Versuch, sich zu verteidigen, nicht mehr greift. Man steht vor Gericht, man weiß, man hat nichts getan, aber das Gericht behauptet das Gegenteil.

Wieso träumen Sie davon? Die meisten Menschen haben eher Albträume, noch einmal die Mathematik-Matura machen zu müssen.

(lacht) Davon träume ich nicht, denn die habe ich geschafft! Dinge, die man schaffen kann, machen mir keine Angst. Sondern Situationen, in denen man zum Spielball wird.

Das Stück wurde 1953 als Kommentar zur McCarthy-Ära geschrieben. Man dachte, solche Dinge wären überwunden. Aber auch in unserer Zeit gibt es wieder Ausbrüche von Unlogik, von Massenhysterie, von Aberglauben. Man muss ja nur in die sozialen Medien schauen. Ist die "Hexenjagd" ein Stück zur Zeit?

Definitiv. Arthur Miller sagte selber, das Stück wird immer dann gespielt, wenn es eine frische Erinnerung an eine gerade zurückliegende Tyrannei gibt – oder aber, wenn wieder eine am Horizont auftaucht. Die vergangenen Tyranneien sind tatsächlich weit weg, aber die kommenden sind verdammt nah. Ich bin betroffen darüber, was in Polen oder Ungarn möglich ist. Oder in der allernächsten Umgebung. Ich bin auch überzeugt, dass wir nur eine kurze Atempause nach der gewonnenen Präsidentschaftswahl haben – und dass die brennenden Fragen offenbleiben. Das erste Interview von Norbert Hofer nach der Wahlniederlage war bereits voller Drohungen, als er vom schlafenden Bären gesprochen hat, der geweckt wurde, oder unverhohlen Reinhold Mitterlehner attackiert hat. Man muss die Sprache der FPÖ sehr ernst nehmen.

Könnten Sie nicht optimistisch sein? Die Mehrheit hat sich schließlich gegen diese Form des Populismus gewandt.

Ja, das ist wirklich sehr, sehr positiv. Man muss auch eine differenzierte Diskussion darüber führen, was die Menschen bewegt, diesen populistischen Parteien zu folgen, und warum sie generell Angst haben: vor Flüchtlingen, vor Veränderung, warum sie die Idee des freien Europa ablehnen. Ich kann das verstehen, bin selber enttäuscht und sehe die Notwendigkeit von Obergrenzen. Aber es gibt eine gewisse Art von Politik, die einfach indiskutabel ist – und die in Wahrheit die Ängste der Menschen instrumentalisiert. Sie hat keine Lösungen und ihre Ziele sind ganz andere. Und da muss man sagen: "Hier ist die rote Linie, da geht ihr nicht drüber!"

Kann man als Künstler überhaupt etwas bewegen?

Man muss es auf jeden Fall versuchen. Ich bin als Regisseur auch eine öffentliche Person und arbeite im öffentlichen Raum. Diese Rolle nehme ich gerade in diesen Zeiten und gerade in Wien sehr ernst und gebe etliche Interviews. Ich versuche, meine Position zu nutzen, um etwas zu bewegen. Wir leben in einer Zeit, in der jeder, der nur kann, Haltung zeigen soll. Ich bin bekannt dafür, dass ich meinen Mund aufmache, ich habe ihn auch immer aufgemacht, deshalb bin ich hier auch nicht viel geworden.

Sie scheinen aber gerne in Wien zu sein?!

Wien ist zu einer aufregenden Stadt geworden. Ich war in den letzten Jahren sehr viel in Wien, weil ich ja am Reinhardt-Seminar unterrichte. Es ist eine interessante Metropole mit vielen kulturellen Angeboten, und die Infrastruktur funktioniert. Und sie ist wirklich voller verschiedener fremder Sprachen – mehr als in jeder anderen Großstadt Europas. Diesen Fakt muss man einfach anerkennen. Und man muss eine Lösung finden, diese Kulturen zu integrieren. Eigentlich war Österreich immer sehr gut darin.

Gibt es zumindest im Hinterkopf den Plan, als Theatermacher nach Wien zu übersiedeln?

Mittel- oder langfristige Pläne gibt es im Theater nicht. Ich hab nur einen Notfall-Plan-Gedanken im Hinterkopf: Ich könnte jederzeit ein kleines Restaurant aufmachen. Oder einen Würstelstand irgendwo in der Karibik.

Welche Destinationen kämen für Sie in Deutschland infrage?

Hamburg ist nach wie vor meine Lieblingsstadt – dort habe ich 14 Jahre gelebt. Berlin schließe ich aus. Mit Berlin komme ich nicht klar, seit ich an der Volksbühne und an der Staatsoper Unter den Linden sehr schwierige Zeiten durchstehen musste. Ich war mit einer resistenten Ost-Mentalität konfrontiert, mit der ich einfach nichts anfangen konnte.

Das Berliner Ensemble und die Volksbühne bekommen jetzt neue Intendanten. Claus Peymann und Frank Castorf sind mit ihren designierten Nachfolgern nicht wirklich glücklich. Ermöglicht Chris Dercon eine interessante Neupositionierung – oder ist er fatal für die Volksbühne?

Ich kann das nicht wirklich kommentieren. Das ist eine wahnsinnig aufgeblasene Diskussion um ein Thema, von dem man erst sehen wird, ob es überhaupt eines ist, wenn Dercon dort ist.

Wieso inszenieren Sie die "Hexenjagd" in Wien und nicht an Ihrem Haus in München? Den Rechtsruck gibt es ja auch in Deutschland.

Wir zeigen das Stück auch am Residenztheater, in der Regie von Tina Lanik – was durchaus auf meinem Mist gewachsen ist. Ich muss ja nicht alles inszenieren. Mein Theater ist allerdings nicht wirklich "amused", wenn ich "fremdgehe". Beim Burgtheater spielt allerdings die besondere Historie in meiner persönlichen Biografie und meine Freundschaft mit der Kollegin Karin Bergmann mit hinein. Das muss gehen!

Gibt es Ideen für weitere Inszenierungen an der Burg?

Momentan nicht. Ich bin wahnsinnig müde, ich mache bereits die dritte Inszenierung im laufenden Kalenderjahr. Ich kenne die Schauspieler schon nicht mehr auseinander, ich bin wirklich platt. Außerdem habe ich meine Regie-Professur und bin Intendant. Ich muss kürzertreten und das vor allem zu Hause, im Resi in München.

Man sagt Ihnen einen besonders kraftvollen Regiestil nach. Aber das hören Sie nicht so gerne.

Mir geht nur das Gerede vom "Berserker" schon lange auf die Nerven. Natürlich ist mein Stil kraftvoll, aber ich will ja auch von dem erregt sein, was ich tue. Und auch Erregung erzeugen! Aber ich arbeite längst fein und leise, präzise und psychologisch. Meine Arbeiten von Ibsen, Schnitzler oder der "Iwanow" von Tschechow – das wurden alles erfolgreiche und kontroversielle Aufführungen. Meine wilde Zeit ist nicht vergessen, nicht verloren – und sie macht die konventionellen, klassischen Stücke interessant.

Wie beeinflusst Ihr langjähriger Partner, der Bühnenbildner Martin Zehetgruber, die Inszenierungen? Er ist ja auch bei der "Hexenjagd" mit von der Partie.

Ich kann mit seinen Räumen sehr gut umgehen, wobei das nicht einfach ist, da hat sich schon mancher die Zähne daran ausgebissen. Die Bühnenbilder machen die Ästhetik und die Stoßrichtung der Inszenierungen aus, keine Frage.

Gibt es mit Zehetgruber Gespräche vorher, oder legt er einfach etwas hin?

Wir arbeiten seit 25 Jahren zusammen. Früher saßen wir wochen- und monatelang zusammen, um ein Projekt zu besprechen; heute brauchen wir das nicht mehr. Er legt mir das Ding hin – und dann arbeite ich daran.

Was inszenieren Sie als Nächstes in München?"Phädras Nacht", eine Adaptierung von Racines "Phädra", ein Projekt, das ich mit Albert Ostermaier zusammen entwickle. Bibiana Beglau wird die Phädra spielen. Ich freue mich darauf, weil es die Möglichkeit ist, einmal etwas Neues, Unbekanntes auszuprobieren, anstatt die großen Klopper zu inszenieren.

Normalerweise inszenieren Sie gerne die "großen Klopper". Was halten Sie vom derzeitigen Hang zu Dramatisierungen von Romanen und Filmen?

Nichts. Ich habe nur selten wirklich gelungene Adaptierungen gesehen. Ich finde es ein bisschen armselig, dass man der dramatischen Literatur nicht vertraut. Aber wenn jetzt jemand bei mir am Haus eine super Dramatisierung von einem Film machen möchte, würde ich natürlich sagen, es ist ganz toll (lacht).

Das Residenztheater hatte, wie man hört, zu Beginn Ihrer Intendanz Auslastungsprobleme.

Ich habe jetzt die sechste Spielzeit, es geht uns so gut wie nie zuvor, wir liegen bei 81 Prozent! Wir haben uns stetig weiterentwickelt. Ich habe dazugelernt, wir haben dazugelernt. Das Haus ist eine feste Größe, nicht nur in München, sondern in der deutschen Theaterlandschaft.

Und nun sollen die Kammerspiele gröbere Probleme haben.

Darüber müssen Sie mit dem Kollegen Lilienthal reden.

Weil das hier an der Burg ein großes Thema war: Bekommen Sie Ihre zwei Regiearbeiten pro Jahr am Residenztheater extra vergolten oder sind die in der Intendantengage inbegriffen?

Nein, das ist ein Extra-Regievertrag, der aber um einiges unter der Höchstgage liegt. Und auch mein Intendantenhonorar liegt um einiges unter dem, was hier in Wien üblich ist.

Wissen Sie als Intendant genau über die Finanzen Ihres Hauses Bescheid?

Definitiv.

Da der gefeuerte Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann die Verantwortung abstreitet: Wie ist das am Resi? Sind Sie mitverantwortlich?

Ja klar. Ich bin sogar allein verantwortlich. Das gehört zur Job-Description des Intendanten dazu.

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