Von Susanne Zobl
Ein Blick auf die Bilder von Giacomo Puccinis „La rondine“, der nächsten Premiere an der Wiener Volksoper, erklärt, warum die Sopranistin Rebecca Nelsen von dieser Produktion (Regie: Direktorin Lotte de Beer) schwärmt. Eine Gesellschaft wie aus einer Pariser Modezeitschrift des 19. Jahrhunderts ist da wie in einem Historienfilm gruppiert. „Eine der schönsten Produktionen, in denen ich in der letzten Zeit aufgetreten bin. Die Kostüme (Jorine van Beek, Anm.) stammen alle aus dem Fundus und trotzdem ist die Inszenierung modern, denn Lotte de Beer ist eine tolle Geschichtenerzählerin“, lobt Nelsen.
Die Geschichte ist eine Art „La Traviata“, gewürzt mit einer Prise „Fledermaus“. Nelsen verkörpert Lisette, die Zofe von Magda de Civry, einer jungen Pariserin, die sich vom Bankier Rambaldo aushalten lässt. Den verlässt sie für den jungen Ruggero, verrät ihm aber nichts von ihrer Vergangenheit. Bis er sie heiraten will, doch sie weiß, dass eine Ehe mit ihr seinem Ruf schaden würde. „Dieser Moralkodex hat die Menschen geprägt, der ist entscheidend für die Geschichte, daher ist es richtig, dass man die Handlung in der Zeit belässt, in der sie geschrieben ist. Würde man sie in die Gegenwart verlegen, würde die Geschichte nicht funktionieren“, erklärt Nelsen.
Der Text indes sei heute schwer erträglich, merkt sie an. Vor allem, wenn es um Standesunterschiede geht. Prunier verleugnet seine Lisette, also Nelsens Figur, weil es sich für einen Dichter nicht gehört, mit einer Dienstbotin zu verkehren. „Prunier tritt bei uns als Autor der Geschichte auf, aber Lotte dreht die Verhältnisse um“, verrät Nelsen. „Sie werden bei uns einen Kampf der Geschlechter erleben, an deren Ende die Frage steht, wer tatsächlich Autor des eigenen Lebens ist.“
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Poesie
Sie weiß, wovon sie spricht, denn die studierte Germanistin ist nicht nur Sängerin, sondern auch Autorin. Für ihren Ehemann, den Tenor Eric Stokloßa, übersetzte sie Heinrich Heines Gedichtzyklus „Dichterliebe“ in ein „singbares“ Englisch für Aufführungen in den USA. Es störte sie, dass die Gedichte aus reiner Männerperspektive erzählen. „Da sagte ich mir, es muss dafür eine Antwort geben.“ Die verfasste sie selbst.
Das Ergebnis ist ein Liederabend mit Gedichten unter dem Titel „The Poet(s) Love(r),“ den sie gemeinsam mit ihrem Ehemann in der Volksoper aufführte. Diese Moral, die man damals von Frauen verlangt hat, sei ihr als echte Texanerin nicht fremd, setzt sie fort: „Ich bin im Bible Belt aufgewachsen. Da galt es schon als Sünde, wenn eine Frau an ihre Lust nur dachte“, konstatiert Nelsen.
Naheliegend, dass das Gespräch auf die bevorstehende Präsidentenwahl in den USA kommt. „Man erbt die politische Einstellung in Amerika, die ist Teil der Identität, das ist in Europa wahrscheinlich schwer zu verstehen“, holt Nelsen aus. „Ich komme aus einer Familie von Republikanern. Als ich realisiert habe, dass ich keine mehr bin, hatte ich sogar Angst, das meiner Zwillingsschwester zu erzählen“, blickt sie zurück.
In ihrer Familie gäbe es jetzt Republikaner und Demokraten, von Spaltung ist, wie in vielen anderen Familien, keine Rede.
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„Trump-Kult“
Warum aber hat Trump, der eine Diktatur angekündigt hat, so viele Anhänger? „Diese Trump-Verehrung ist wie ein Kult, die meisten seiner Anhänger sind brainwashed. Aber es gibt schon Republikaner, die gegen Trump sind. Er hat Angst, dass er in den Knast kommt, wenn er nicht gewählt wird. Das motiviert ihn im Wahlkampf. Biden aber ist motiviert, weil er etwas für unser Land und für die Welt tun will. Viele führen sein Alter gegen ihn an, aber das spricht auch für ihn, denn er kennt seit 60 Jahren alle Regierungschefs der Welt. Wer kann das von sich behaupten?“
„Ich habe manchmal den Eindruck“, setzt sie fort, „dass wir in einer ähnlichen Zeit wie in den 1920er Jahren leben, man ahnt, dass etwas kommt – und das ist nichts Gutes. Man spürt eine gewisse Dekadenz, wir tanzen auf einem Vulkan. Dennoch sollten wir gewisse Dinge genießen und unsere Empathie trainieren wie einen Muskel. Das funktioniert, wenn wir etwas erleben, das größer ist als wir“, sagt sie und kommt auf das Musiktheater zurück. „Ich liebe diese Momente im Theater, wenn es plötzlich ganz still wird, und man etwas Besonderes spürt. Das ist wunderbar, und wir brauchen diese Wunder.“
Puccinis „La Rondine“, Premiere: 10. April, 19 Uhr, am Pult: Alexander Joel, Regie: Lotte de Beer
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