Ciao!
Ob der 37-jährige Raphael Ragucci, Sohn einer Italienerin und eines Österreichers, geboren in der französischen Schweiz und aufgewachsen in Wien, dieses Parfum bei seinem Heimspiel getragen hat, lässt sich von der Ferne nur schwer erriechen. Ist aber auch ziemlich egal, denn das Wichtigste ist ja, dass „RAF Camora lebt“, wie es zu Beginn des Konzertes auf der Bühne in Großbuchstaben geschrieben steht.
Für dieses Comeback sorgte eine persönliche Krise, die sich der Rapper nach dem verkündeten Ende seiner musikalischen Laufbahn irgendwo eingefangen hat, und ihn zum Rücktritt vom Rücktritt veranlasst. Es war ein „großer emotionaler Crash“, wie er in einem Interview sagt. Alles sei scheiße gelaufen, die Beziehung, der Tod des Großvaters (mein Beileid!) und dazu die große Sinn-Frage. Es war – zusammengefasst – eine sch**ß Zeit. Wenn man mit 180 km/h von der Überholspur des Lebens direkt die Ausfahrt nimmt, endet das selten gut. Ob aufgrund dieses seelischen Aufpralls dann auch keine Fotografen beim Konzert erlaubt waren, weiß man nicht. Zugelassen war auf jeden Fall nur RAF Camoras Haus-und-Hof-Fotograf. Sein Konzert, sein Bezirk, seine Regeln. Deshalb haben wir auch kein Foto vom Wien-Konzert für Sie.
Nach dem (fehlerfrei!) der Countdown runtergezählt wurde, explodiert etwas auf der Bühne. Der Vorhang fällt. "Vienna" wird begrüßt. Das kreischt zurück. Als Dankeschön wird dem Publikum ordentlich eingeheizt - mit Flammenwerfern: Rammstein lässt grüßen. Es folgen danach hauptsächlich Lieblingssongs von RAF Camora, oder Lieder, die sein Leben nachhaltig verändert haben, wie er sagt. „Endlich Zukunft“, der Titelsong zu seinem neuen Album, ist zum Beispiel so eine Nummer: "Die letzten Jahre waren hart / Mit Corona-Maske im Park / Jetzt Riesenparty in meiner Stadt". Dazu gibt es wuchtige House-Beats, die durch ein Live-Schlagzeug verstärkt werden. Da es keine Zukunft ohne Vergangenheit gibt, wie RAF Camora treffend anmerkt, heißt der nächste Song „Primo“. Damit lässt er David Alaba im Backstageraum schön grüßen: Der frischgebackene Champions-League-Gewinner war ebenso beim Konzert wie seine italienische Oma: Ciao Nonna!
"Wo sind Hände?!"
Immer wieder sucht RAF Camora die Hände des Publikums: „Wo sind Hände?!“ Und immer wieder hat RAF Camora selbst das Smartphone in der Hand – filmt sich und die Kulisse. Da das mit dem Multitasking ja nicht so einfach ist, fördert dieses Mitfilmen beim Singen dann keinesfalls die Qualität und Treffsicherheit seiner Raps. Dem Publikum macht das wenig aus. Sie kennen eh fast alle seine Texte auswendig.
Nach einer kurzen Pause steht RAF Camora dann plötzlich in der Mitte der Stadthalle auf einer Hebebühne und rappt bei einsetzendem Schneefall - es rieselt weiße Flocken von der Decke - zwei, drei Songs kurz an – darunter „Cinema“, ein trauriges Lied, wie RAF Comora sagt. „Nur Gott weiß, wieso, wieso, wieso, wieso. Heute rett' ich die Welt, morgen schon lass' ich sie brenn'n. Ich schwör', wir sind schizo, schizo, schizo, schizo“. Eine Anspielung auf den russischen Angriffskrieg? Die dazu passende ukrainische Flagge wird aber erst später, beim Finale geschwenkt.
Bis es aber so weit ist, es Konfetti regnen, auf der Bühne eine Party gefeiert wird und die Sekt-, Pardon!, Champagner-Korken knallen, zieht sich RAF Camora noch zwei Mal um und haben Gast-Rapper wie Gallo Nero oder Ahmad Amin Kurzauftritte. RAF Camoras Kumpel Bonez MC ist diesmal nicht dabei. Er wird dann aber bei dem mit knackigen Dancehall-Beats ausgestatteten Song „Blaues Licht“ per Video eingespielt. Reicht völlig.
Andere Liga
Dass ihm viel an dem Ort seiner Kindheit, seiner Jugendjahre, liegt, betont RAF Camora dann mehrfach. Hier, also nur eine Minute von der Stadthalle entfernt, sei er aufgewachsen. Er und Wien-Fünfhaus, auf Tinder wäre es ein Match. Die dazu passenden Songs gibt es auch: „Vienna meine Stadt, meine Liebe. Mein Hass, mein Herz, mein Vienna" heißt es im Song "Vienna". „Andere Liga“ ist dann so etwas wie Liebeslied an die Frauen aus Fünfhaus: „Big up meine Balkan-Chica, in Highheels oder Sneakers. Sie spielt in 'ner andern Liga“.
Ob er diese Zeile am Donnerstagabend dann auch wirklich so "gesungen" hat, war nicht feststellbar. Jene, die die Texte nicht kennen, sind überhaupt etwas verloren. Man versteht nur Wortfetzen und Befehle wie „Macht den Kreis!“. Das lag an den dominanten Bässen, daran, dass das Gesprochene oft zu sehr genuschelt wurde. Dass man nicht alles versteht, ist bei den ganzen sexistischen, gewaltverherrlichenden und „Ich wohne im Penthouse und fahre Autos um 300.000 Euro, du Verlierer!“-Texten auch besser so. Apropos Geld: Was ist eigentlich mit den 150.000 Euro, die der Millionär seinem Heimatbezirk (Rudolfsheim-Fünfhaus) für Kinder- und Jugendarbeit spenden wollte? Vielleicht hat es am Donnerstag ja persönlich beim Bezirksamt vorbeigebracht. Wir werden sehen.
Info: RAF Camora wird auch beim Frequency-Festival in St. Pölten auftreten.
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