„Philanthropie ist wichtiger denn je“
„Die Kulturszene in Österreich richtet ihren Blick derzeit sehr stark nach innen, und das ist verständlich“, sagt Jasper Sharp. „Doch wir können das, was außerhalb passiert, nicht ignorieren. Denn dort liegen die Chancen und Möglichkeiten“.
Sharp ist Kunstfreunden als Kommissär des österreichischen Biennale-Beitrags 2013 und als Kurator des Zeitgenossen-Programms am Kunsthistorischen Museum (KHM) ein Begriff. In dieser Funktion brachte der gut vernetzte Brite u. a. Ausstellungen von Lucian Freud und Mark Rothko nach Wien und betreute das – für heuer abgesagte – Kunstprogramm im Wiener Theseustempel.
Im Netzwerk
Doch Sharp ist auch eine Schlüsselfigur beim Export junger österreichischer Kunst ins Ausland – primär in Form von Beiträgen zu Biennalen von Sydney bis São Paulo. Mit dem Verein Phileas hat Sharp dabei ein Netzwerk von Spendern aufgebaut, das diese Projekte mitfinanziert: Drei Millionen Euro konnte die Einrichtung seit der Gründung 2014 lukrieren.
„Philanthropie ist in der Krise wichtiger als je zuvor“, sagt Sharp, dessen Organisation durch die coronabedingte Absage bzw. Verschiebung fast aller für 2020/’21 angesetzten Kunstbiennalen heftig durcheinandergewirbelt wurde. Die Unterstützer konnte Phileas vorerst bei der Stange halten: „Wir konnten weiter Arbeitsstipendien auszahlen – was für manche Kunstschaffende ein Rettungsanker war“, sagt er. Die Organisation konnte auch Kunstwerke (u. a. von Marko Lulić, Nikolaus Gansterer, Anna-Sophie Berger und Jakob Lena Knebl) erwerben und dem Belvedere sowie dem mumok als Schenkung übergeben.
Der Verein schließt auch jüngere Mäzene ein; formell entscheiden aber 23 „Partner“ – die jährlich fünfstellige Summen beisteuern – mit dem siebenköpfigen Team über Projekte (Mitbegründer Moritz Stipsicz verlässt dieses Team mit Juli, weil er Geschäftsführer im Leopold-Museum wird). Viele Vorhaben werden aktiv auf den Weg gebracht, indem Phileas etwa Kuratorinnen und Kuratoren nach Wien einlädt und diese in Ateliers von Kunstschaffenden führt, die zu deren Ausstellungsprojekten passen. Im Fall einer Nominierung finanziert der Verein die Produktion der Werke mit; oft erwirbt er diese auch und übergibt sie an Museen.
Bei der Stange
Normalerweise halten gemeinsame Reisen, exklusive Führungen oder Diskussionsrunden das Netzwerk zusammen – derzeit weicht man teils ins Netz aus, etwa mit Zoom-Talks mit hochkarätigen Personen der Kunstwelt.
„Es funktioniert ein wenig wie ein Ankaufskomitee in einem amerikanischen Museum, in dem jene, die Geld geben, auch den Kurs mitbestimmen“, sagt Sharp, der sich der Tücken dieses Systems durchaus bewusst ist: So sei es angesichts der kleinen heimischen Szene unvermeidbar, dass Mäzene auch Projekte von Kunstschaffenden unterstützen, die sie selbst sammeln. „Aber wir haben eine breite Streuung, und wir sind uns bewusst, dass wir über unsere eigenen Favoriten hinausgehen müssen“, sagt Sharp.
Der Kurator, der schon sein Biennale-Budget 2013 substanziell mit Spenden aufbessern konnte, „war nie ein Fan des amerikanischen Modells, in dem das komplette Budget vom Fundraising kommt und wo Museen jetzt viele Mitarbeiter kündigen mussten“, wie er sagt. „Philanthropie soll niemals als Ersatz für staatliche Kulturfinanzierung gesehen werden, immer nur als Ergänzung. Doch ein gewisser Grad an privatem und öffentlichem Engagement ist notwendig.“
Tatsächlich kooperiert Phileas bei fast allen Projekten mit dem Kulturministerium, das die privaten Gelder in den meisten Fällen verdoppelt. Diese Sicherheit, so Sharp, gebe heimischen Kunstprojekten auch mehr Durchschlagskraft – so blieb etwa die Teilnahme von Sarah Ortmeyer und Katrin Hornek an der im August startenden Riga-Biennale, die nun in modifizierter Form ausgetragen wird, trotz Absage vieler anderer Projekte bestehen.
Auf dem Tisch
Doch angesichts der Corona-Krise stehen nicht nur Biennalen, sondern auch das System der Kunstfinanzierung selbst auf dem Prüfstand. „Es gibt in der Debatte eine Seite, die einfach mehr Geld von öffentlichen Quellen fordert. Und eine andere, die versucht, andere, eigene Lösungen zu finden“, analysiert Sharp.
Zwei Stränge der Debatte hält er für besonders bedenkenswert: So wird das als Teil des New Deal in den USA der 1930er Jahre ersonnene Künstler-Hilfsprogramm derzeit wieder als Krisen-Modell diskutiert. Der Staat finanzierte damals in großem Stil Kunstschaffende, die im Gegenzug u. a. Werke für öffentliche Bauprojekte schufen, Unterricht gaben oder dokumentarische Arbeit leisteten. „Das Ziel war, Künstler überleben zu lassen – der Effekt war, dass sich der Lauf der Kunstgeschichte geändert hat“, sagt Sharp. „Natürlich ist die Welt heute eine andere als 1935. Aber viele befürworten die Idee, Künstler mit staatlicher Hilfe zu mobilisieren, um etwas für das Gemeinwohl zu schaffen.“
Die Forcierung von Kunst im öffentlichen Raum sei damit verbunden die zweite große Zukunftsperspektive in der Post-Corona-Welt, befindet Sharp: „Österreich hat hier sehr aktive Programme, aber ich denke an eine Vervielfachung davon. Wir brauchen Kunst draußen, wo sie Teil des Lebens und des sozialen Gefüges sein kann.“
Das System der Biennalen und Kunst-Festivals will der Kurator, der selbst mehrere Jahre in Venedig lebte, indes noch nicht abschreiben. „Die Kunstwelt hatte, was das Reisen angeht, schon vor Corona ein Intensitätslevel erreicht, das nicht mehr haltbar war“, sagt er. „Aber gerade weil wir weniger reisen, werden Biennalen als Gelegenheiten, sich zu treffen und den Puls des Kunstgeschehens zu erspüren, wichtiger werden. Es wird bloß weniger davon geben. Und überleben werden die, die in ihrer Programmierung und in ihrem sozialen Engagement klug vorgehen und die breiteste Unterstützung hinter sich haben.“
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