So singen nur die wahren Göttinnen

Sensationell: Christopher Maltman als Oreste und Cecilia Bartoli als Iphigénie sorgen in Salzburg für ein Fest der Stimmen
Kritik: Glucks "Iphigénie en Tauride" bei den Salzburger Pfingstfestspielen.

Darf man es ganz salopp formulieren? Die Salzburger Pfingstfestspiele stehen und fallen mit ihr. Mit der großartigen Cecilia Bartoli, die seit ihrer Ernennung zur Intendantin – hier gebührt Alexander Pereira im Nachhinein größter Dank – dieses Festival wieder zu einem der wichtigsten Kultur-Ereignisse gemacht hat. Denn ohne "La Bartoli" geht in Salzburg zu Pfingsten gar nichts. Erst recht nicht bei Christoph Willibald Glucks Oper "Iphigénie en Tauride", die dank Bartoli und ihrer musikalischen Mitstreiter zu einem veritablen Fest für die Ohren (weniger für die Augen) geworden ist.

Flüchtlingscamp

Da sitzt sie also, irgendwo in einem Flüchtlingslager mit kurz geschnittenen Haaren, in T-Shirt und Jogging-Hose und muss einer seltsam anmutenden Soldateska (Regie: Moshe Leiser und Patrice Caurier) als Hohepriesterin eines an die Terror-Miliz IS oder auch (profaner) an amerikanische Football-Rowdys gemahnenden Mörder-Gesellschaft Menschenopfer darbringen. Eines davon soll ihr eigener Bruder Oreste sein, den sie natürlich anfangs nicht erkennt, und der sich wiederum für seinen engsten Freund (nur Freund?) Pylade aufopfern will. So weit, so Gluck, der in seiner revolutionären Reformoper "Iphigénie en Tauride" nicht nur die Mächte der Götter, sondern auch jene des ausdrucksstarken Gesangs beschwört.

Womit wir wieder bei Cecilia Bartoli wären: Die römische Mezzosopranistin ist das ultimative Ereignis dieser Salzburger Eigenproduktion, die ab 19. August auch bei den Sommerfestspielen im Haus für Mozart zu sehen und zu hören sein wird. Denn wie La Bartoli diese tragische Iphigénie singt, wie sie diese unglückliche Atriden-Tochter spielt, verdient absolut jeden Superlativ. Da geht es auch, aber nicht nur um Schöngesang. Da geht es um innerste Emotionen, um tiefste Seelenzustände und um eine Welt, die aus dem (humanistischen) Gleichgewicht gefallen ist. Cecilia Bartoli macht all das hörbar, ersingt und erspielt sich eine Frau, die an ihre Grenzen gehen muss und diese zuletzt auch überschreitet. Ach so, ein Happy-End gibt es in der ein bisschen unausgegorenen (das Baracken-Bühnenbild von Christian Fenouillat passt perfekt ins Bild) Inszenierung auch. Die Göttin Diana erscheint ganz in Gold (ein Überbleibsel des Life-Balls?) und erlöst die gestrandeten Boat-People. Auf zu neuen Ufern und ab in die Pleiteregion Griechenland – so lautet die Botschaft der Regie, doch dazwischen liegt noch ein Meer. . .

Was Leiser und Caurier – im Gegensatz etwa zu einem Torsten Fischer im Theater an der Wien – nicht schaffen, ist, die dringende Aktualität dieses Werkes stringent hervorzuheben. Dafür gab es bei der Premiere auch einige heftige Buhs.

Doch selbst das ist wieder nebensächlich, denn Pfingsten ist bekanntlich Bartoli, und Bartoli ist bekanntlich Pfingsten. Und die Künstlerin hat sich wie immer fabelhafte Mitstreiter ausgesucht.

An der Spitze: Der wunderbare Bariton Christopher Maltman, der sich in völliger Selbst-Entblößung (Nacktheit dient hier als Form des Ausdrucks) in den Dienst der Sache stellt und einen famosen Oreste gibt. Die Traumszene, in der er von den Furien der Vergangenheit eingeholt wird (eine Zombie-Klytämnestra inklusive), und die Opferszene werden darstellerisch und vokal zu einer Sensation. Maltman ist neben Bartoli das stimmliche Kraftzentrum dieser Produktion, zieht in den Bann und verstört in seiner Intensität gleichermaßen.

Mafia-Show

Nicht minder großartig: Tenor Topi Lehtipuu als famos singender, hingebungsvoller Pylade, der sich als Freund des Oreste alles holt. Michael Kraus gibt den hier US-Amerika (oder doch IS-Terror?) vertretenden König Thoas sehr würdevoll und mit einer Prise Mafia-Show. Rebeca Olvera als Life Ball-Testimonial Diane überzeugt ebenso wie der Coro della Radiotelevisione Svizzera, Lugano – das ist Gluck und auch musikalisches Glück pur.

Bleiben Dirigent Diego Fasolis und das hinreißende Ensemble I Barocchisti, die für einen aufwühlenden, verstörenden, in jeder Note extrem präsenten, transparenten und stets expressiven Opernabend sorgen. Gemeinsam mit Cecilia Bartoli führen sie diese "Iphigénie en Tauride" zu einem melodischen Triumph.

2016 aber geht Bartoli andere Wege: Mit Leonard Bernsteins göttlicher "West Side Story " ruft die Intendantin andere (Musical-)Götter an. Kein Barock mehr, stattdessen Gustavo Dudamel mit seinem Simon Bolivar Symphony Orchestra of Venezuela und mit Tenor Norman Reinhardt als Tony sowie mit La Bartoli als seine angebetete Maria.

Nehmen die Salzburger Pfingstfestspiele also in Zukunft eine andere Richtung? Keinesfalls, denn wo Bartoli draufsteht, ist auch Bartoli und damit die entsprechende Qualität drinnen.

KURIER-Wertung:

Fazit: Musikalisch ein Ereignis

Werk Glucks „Iphigénie en Tauride“ wurde 1779 in Paris erfolgreich uraufgeführt.

Gesang Cecilia Bartoli, Christopher Maltman und Topi Lehtipuu sind einfach fantastisch.

Dirigat Diego Fasolis und das ausgezeichnete Originalklang-Ensemble I Barocchisti erwecken Gluck perfekt zum Leben.

Regie Sehr unentschlossen, fast zu bieder.

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