Pfingstfestspiele in Salzburg: Casting-Show im Spiegel

Teufelsfigur des Vergnügens: Cecilia Bartoli zündete in knallrotem Hosenanzug ein perfektes Koloraturen-Feuerwerk zündet
Bei den Pfingsten Festspielen begeisterte Händels Oratorium „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“

„World’s Top Model – Finale 21 Salzburg“ prangt mit Riesenlettern auf der Leinwand. Und gleich marschieren sie alle am Laufsteg, der rund um den Orchestergraben führt, vor der Jury auf. Es gewinnt die Schönste, nämlich „Bellezza“: Als grelle Casting Show lässt Robert Carsen Georg Friedrichs Händels „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“ als Eröffnungsproduktion der diesjährigen Salzburger Pfingstfestspiele im wegen Corona nur halb besetzten Haus für Mozart beginnen: Nicht zu Unrecht, denn es geht bei diesem Meisterwerk um Schönheit und Vergnügen, aber auch um die vergängliche Zeit und das Überdenken des eigenen Lebens. Und es trifft absolut den Zeitgeist.

Händels erstes Oratorium aus 1707, in Rom komponiert, basiert auf dem Text von Kardinal Benedetto Pamphili, einem Wortwechsel von vier allegorischen Figuren: Piacere (Vergnügen) bestärkt Bellezza (Schönheit), weiter ein Leben sorgloser Ablenkung zu führen, während Tempo (Zeit) und Disinganno (Ent-täuschung im Sinne von Erkenntnis) davor warnen.

Wenn die Schönheit die verheerende Wirkung der Zeit vermeiden wolle, müsse sie sich einen Platz im Himmel sichern, wo die die Zeit keinen Einfluss mehr habe. Wunderbar und klug, wie der kanadische Erfolgsregisseur, der sich heuer mit dem Titel „Regisseur des Jahres 2020“ schmücken kann, den Kontrast zwischen Vergnügungssucht und vergänglicher Zeit realisiert: Hier die exzessive Welt des Glamours mit Shows, wilden Tänzen in der Disco, mit Drogen, Alkohol, Sex, immer begleitet von Kameras und Videos. Dort die dunkle, ruhige, fast asketische Welt, die im Laufe das Abends immer mehr überhandnimmt, mit einer Psychoanalyse-Couch und berührender Begegnung von Bellezza mit ihrer kindlichen und alten Doppelgängerin in einem riesigen „Spiegel der Wahrheit“, der auch symbolhaft dem ganzen Publikum vorgehalten wird (Ausstattung: Gideon Davey).

Und letztlich schreitet die geläuterte Schönheit bei ihrer letzten Arie ganz allein in ihrem weißen Kleidchen auf leergeräumter Bühne beim Hintertor hinaus. Ein starkes Finale!

Diese fordernde Partie wird von Mélissa Petit verkörpert: Ständig präsent, muss sie allein zehn Arien singen. Und wie sie sie singt: Reich an Nuancen, mit Klarheit, Innigkeit, Höhensicherheit und saubersten Koloraturen. Ihre verführende Teufelsfigur des Vergnügens (Piacere) ist Cecilia Bartoli in knallrotem Hosenanzug, die wieder ein perfektes Koloraturen-Feuerwerk zündet. Betörend weich erklingt aber auch der Arien-Hit „Lascia la spina“, ein Juwel aus Händels Feder. Charles Workman in priesterlicher Soutane als Zeit (Tempo) besticht mit reichschattiertem, baritonal klingenden Charaktertenor und Lawrence Zazzo als Erkenntnis (Disinganno) mit exzellentem Countertenor.

Mitreißend sind die Tanzeinlagen (Choreographie: Rebecca Howell). Die Musik des Oratoriums ist ungemein abwechslungsreich und voller überraschender Gedanken. Sie werden vom Ensemble Les Musiciens du Prince-Monaco unter Gianluca Capuano delikat mit feinsten Schattierungen und betörender Pianissimi aber auch viel Drive wunderbar dargeboten. Stehende Ovationen!

Kommentare