Peter Turrini: "Menschen wie ich kommen vom Dorf nie los"
Schuld war die höchst erfolgreiche Verfilmung der „Forsyte Saga“ Ende der 60er-Jahre durch die BBC in 26 Teilen. Beim ORF sinnierte man 1973 über eine österreichische Variante, wie der damalige Chefdramaturg Gerald Szyszkowitz später notierte: „Die Londoner hatten eine Großstadtfamilie gezeigt, wir aber wollten mehrere Generationen einer Bauernfamilie zeigen.“ Und zwar realitätsnah, wahrheitsgetreu. Schließlich wehte nach dem Wahlsieg von Bruno Kreisky auch beim Rundfunk ein frischer Wind.
Als Drehbuchautor wollte Szyszkowitz eigentlich Wolfgang Bauer gewinnen. Doch der rüde Dramatiker hatte von der Produktionsgesellschaft Bavaria einen Vorschuss für ein anderes Projekt kassiert und fiel daher aus. So kam man auf Peter Turrini.
Der Kärntner hatte mit „Rozznjogd“, 1971 im Wiener Volkstheater zur Uraufführung gebracht, einen enormen Skandal ausgelöst. Denn ein junges Paar, damals verkörpert von Franz Morak und Dolores Schmidinger, entledigt sich darin nach und nach jeder Schutzschicht – bis beide nackt voreinander stehen. Und das auf einer Müllhalde.
Im Jahr darauf kam „Sauschlachten“ über den Bauernsohn Valentin heraus, der sich vom Dorfleben und von den tradierten NS-Phrasen samt Frauenbild abgrenzt.
Heimatdichter
Turrini, am 26. September 1944 im Lavanttal (Kärnten) geboren, schöpft seit jeher aus seiner unmittelbaren Umgebung: „Menschen wie ich kommen vom Dorf nie los.“
Daher ließ er im Pass als Beruf „Heimatdichter“ eintragen. Der Begriff Heimat sei, sagte er 2004, von zwei Ideologien verhunzt worden: „Die Nazis haben ihn buchstäblich mit Blut und Boden durchtränkt, und in der darauffolgenden Republik wurde er im Kitsch ersäuft. Alles, was mit Heimat zu tun hatte, wurde zum Heimatprospekt, zur Schnulze, zum Musikantenstadl. Aber was kann der Begriff dafür? (…) Ich wollte die Worte ,Heimat‘ und ,Heimatdichter‘ ihren Zerstörern entreißen und für mich beanspruchen. Es hatte mit Gefühlen wie Zorn und Trotz zu tun.“ So kam es, dass Turrini zusammen mit Wilhelm Pevny über Jahre an der „Alpensaga“ und die Ereignisse am Huberhof schrieb: Sie spannten den Bogen von 1899 bis 1945 und spiegelten die große Geschichte (Industrialisierung, Ausbeutung, Landflucht, Monarchie, Weltkrieg, Austrofaschismus, NS-Zeit) im Kleinen.
Staatskünstler
Die Dreharbeiten zogen sich von 1976 bis 1979 hin, weil eine solch kostspielige Serie nur mit Partnern zu realisieren war. Aber bereits nach der Ausstrahlung der ersten beiden Teile 1977 überwog die Begeisterung. Da konnten Bauernbund und Kirche noch so protestieren.
Später, ab 1986, wurde Turrini, der stolze Sozi, zum Staatskünstler: Burgtheaterdirektor Claus Peymann beauftragte ihn mit mehreren Stücken, das Schicksal der Arbeiterklasse verarbeitete Turrini unter anderen (neben der Serie „Arbeitersaga“) ergreifend in „Die Minderleister“. Doch die „Heimat“ Burgtheater war auch ein Fluch.
Nach Peymanns Zeit in Wien und einem kapitalen Flop 2002 bei den Salzburger Festspielen („Da Ponte in Santa Fe“) wurde es stiller um Turrini. Bis Herbert Föttinger als neuer Direktor der Josefstadt ihm eine neue „Heimat“ gab. Und so verteidigt der Dramatiker den Heißläufer bedingungslos – auch wenn er genau weiß, dass Föttingers Führungsstil kaum in die heutige Zeit passt.
Nicht jedes Stück, das in der Josefstadt uraufgeführt wurde, war brillant. Aber „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“ berührte ungemein.
In der letzten Saison kamen „Bis nächsten Freitag“ und „Es muss geschieden sein“ heraus. In diesem Sommer spielte das Ensemble Porcia 63 Vorstellungen von „Die Wirtin“ (frei nach Goldoni) – und die Schloss-Spiele Kobersdorf begeisterten mit „Der Diener zweier Herren“ (ebenfalls frei nach Goldoni).
Fieberkopf
Die immer auf Dialogen basierenden Stücke von Turrini werden gegenwärtig in ganz Europa gespielt: in Bochum, Koblenz, München und Potsdam (Deutschland), in Sofia (Bulgarien), in Split und Zagreb (Kroatien), in Tivat (Montenegro), in Stettin (Polen), zudem auch in Hadera und Tel Aviv (Israel).
Nun ist er, der hartnäckige Mahner, geistreiche Komödiant und sentimentale Geschichtenerzähler, 80. Er hat alle Aufrufe gegen Rechtspopulismus unterschrieben, bezweifelt aber, ob das was gebracht haben wird. Und auch wenn es ihm gesundheitlich schon einmal besser gegangen ist, denkt sich sein „Fieberkopf“, der nicht zur Ruhe kommt, weiter neue Stücke aus: eines über Gerechtigkeit und ein anderes – mit dem Titel „Was für ein schönes Ende“ – zu Föttingers Abschied von der Josefstadt, in dem es, so der Dramatiker, „um Glanz und Ohnmacht geht, um Bedeutung und das Verschwinden derselben“. Darin geht es wohl auch ein bisschen um ihn selbst.
ORF III zeigt am Sonntag, 29. September, das Filmporträt „Peter Turrini – Eine komische Katastrophe“ (11.00 Uhr) sowie die Aufzeichnung „Grillparzer im Pornoladen“ mit Otto Schenk und Dolores Schmidinger (11.55 Uhr). Bereits in der Nacht auf Samstag ist der Film „Vielleicht in einem anderen Leben“ (1.05 Uhr) nach dem Drehbuch von Silke Hassler und Turrini zu sehen. Das Metro Kino in Wien zeigt in der Dieter-Berner-Retrospektive „Von Alma bis Alpensaga“ am 29. September „Alpensaga III – Das große Fest“.
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