Was machen Sie persönlich, wenn Sie in einer Diskussion merken, da komm ich nicht mehr durch?
Steinhauer: Ich bin ein Streithansl, ich bin kein Harmoniker. Weil ich glaube, dass aus der Disharmonie ein ehrlicheres Miteinander entsteht, als wenn alle sowieso einer Meinung sind. Da übersieht man vieles. Aber wenn man sich überkreuzt und sich beide Seiten anhört, entsteht mehr.
Föttinger: Es muss nicht immer einen Konsens geben. Man muss auch einen Dissens leben können. Das haben wir ein bisschen verlernt. Voltaire hat gesagt „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gebe mein Leben dafür, dass sie sie äußern dürfen.“ Das ist in unserer Zeit immer schwieriger geworden. Ab der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 ist das problematisch geworden, dann kam die Coronakrise, der Ukrainekrieg – es gibt kein gesundes analytisches Beschreiben einer Situation, man wird automatisch einer Seite zugeschrieben. Das ist unglaublich polarisierend.
Steinhauer: Es ist ein absolutes Schwarz-Weiß-Denken.
Föttinger: Es ist sofort immer gleich diametral. Du kannst ja Angst vor einer Corona-Impfung haben und bist trotzdem nicht gleich ein Staatsverweigerer. Es wird gleich immer alles in einen Topf geworfen. Manchmal versteh ich auch den Buchhändler, wenn er sagt, er möchte sich verkriechen. Weil das eine Zeit ist, die überhaupt keinen Konflikt austragen kann.
In dem Stück steckt einiges aus der Kategorie „Das wird man ja noch sagen dürfen“. Wie halten Sie es mit der politischen Korrektheit?
Steinhauer: Es gibt Leute, die keine Bremse eingebaut haben, die vergessen ihre Erziehung, lassen ihren Emotionen freien Lauf, egal, ob das reflektiert ist oder nicht. Ich glaube, Peter Turrini hat das gemacht, weil diese beiden die Jugend miteinander verbracht haben: Es gibt keine politische Korrektheit, wir reden, als wären wir die halbwüchsigen Buben von damals.
Föttinger: Wenn der Dozent „Neger“ sagt, dann ist das seine DNA, er liebt die Provokation.
Steinhauer: Wie der Harald Schmidt…
Föttinger: Ja, aber das ist heutzutage nicht mehr denkbar. Aber ist die Welt dadurch besser geworden?
Steinhauer: Es ist vielfältiger geworden, breiter.
Föttinger: Es gibt auch Dinge, die gut sind. Die ganze MeToo-Debatte zum Beispiel hat ja etwas ausgelöst.
Steinhauer: Es gibt Auswüchse. Einer, der mich betroffen hat, war, dass es Überlegungen gegeben hat, wahrscheinlich aus den USA kommend, dass kein Heterosexueller im Film einen Homosexuellen spielen darf. Ich bin gerne bereit, wenn kein Homosexueller einen Heterosexuellen spielen darf. Dann können wir das machen.
Föttinger: Das macht es auch am Theater sehr schwer. Wenn die politische Korrektheit so weit geht, dass du überhaupt nur typbedingt besetzen darfst. Ich kann zum Beispiel nicht mehr Othello spielen. Es gibt ja auch die Diskussion, kann ich noch einen Juden spielen, oder muss ein jüdischer Schauspieler einen Juden spielen. Weil das kulturelle Aneignung ist. Das übersteigt meinen Horizont. Als Schauspieler, dem es ja das ureigenste ist, in eine andere Rolle zu schlüpfen.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Föttinger: In München werde ich „Carmen“ inszenieren. Ich weiß nicht, wie oft das Wort „Zigeuner“ vorkommt. Das ist aber ein politisch unkorrektes Wort. Aber was mach ich jetzt, bessere ich Georges Bizet aus?
Steinhauer: Hände weg von allem, was schon geschrieben ist. Das muss doch möglich sein. Nur weil sich die Welt verändert, wird das geistige Eigentum eines Autors verändert, das finde ich total falsch.
Föttinger: Du musst ja auch ein Werk in einem historischen Kontext sehen. Da hat der Dozent in dem Stück ausnahmsweise auch einmal recht, wenn er sagt: Sie wollen Shakespeare aus dem Lehrplan streichen. Das hat Turrini ja nicht erfunden, das hat tatsächlich stattgefunden. Weil Shakespeare homophob ist, frauenfeindlich, rassistisch, antisemitisch, wird diese Literatur jetzt verbrannt?
Eine weitere Provokation des Dozenten ist, dass er es als eine Zumutung der Juden empfindet, immer noch auf dem Holocaust „herumzureiten“. Eine unerhörte Aussage, die in den letzten Wochen salonfähig zu werden schien.
Steinhauer: Ja, der 7. Oktober hat viel verändert. Was latent vorhanden ist, traut sich jetzt wieder aus den Löchern hervor.
Föttinger: Insofern fühle ich mich total bestätigt, dass ich in meiner Direktionszeit ganz viele Stücke gespielt habe, die sich mit dem Antisemitismus auseinandersetzen. Denn natürlich kam da immer der Satz: Das haben wir doch schon alles gehört, das ist doch überwunden. Jetzt ist die traurige Bilanz zu sehen, dass nichts überwunden ist. Dass sofort, sobald nur irgendwie der Funken einer Möglichkeit auftaucht, das Hakenkreuz wieder auf Friedhofsmauern gemalt wird.
Steinhauer: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.
Kommentare