"Ach, wäre das doch nur das Burgtheater", ruft Herbert Föttinger in den Publikumsraum der Josefstadt. Gekichere.
In selbiges, das Burgtheater, will weniger Föttinger als Stoffhändler Kajetan Kammerlander denn Michael Dangl als Nepomuk Ludel, sorry, Lüdellll ausgesprochen, französisch nämlich. Der ist als Profischauspieler eine Nummer zu groß für jene Theaterklischeetruppe, die hier - für Gutenstein musste Turrini irgendwie die Kurve zu Ferdinand Raimund kratzen - „Der Bauer als Millionär“ einstudiert. Ins Burgtheater schafft Ludel, sorry, Lüdellll es aber vorerst nicht, denn das ist wegen Revolution geschlossen.
➤ Mehr lesen: Peter Turrini: "Gegen den Tod kann man sich nur mit Witz wehren"
Während drinnen nämlich die üblichen Dynamiken des Theaters ablaufen (der Regisseur hat Interpretationsansprüche, Turrini und das Publikum dürfen sich über diese wenig beliebte Zunft lustig machen), ist draußen nämlich Märzrevolution 1848. Dumpf klingen die Mörser in den Theaterraum, Zehntausende kommen um, heute würde es davon Social-Media-Bilder geben, die wiederum selbst für Kriegszwecke eingesetzt würden.
Und der Hausmeister Adam Holzapfel (Günter Franzmeier) muss kurz aufhören, um die Theatertruppe herum aufzukehren, damit er draußen als ausgebildeter Füsilier im Auftrag der Kaisertruppen Aufständische erschießen kann.
Denn da verdient man mehr.
So verwebt Turrini - am Schluss wurde der Josefstadt-Hausdichter freundlich gefeiert - die Inhaltsfäden, aus denen seine Stücke sind, also diesmal: Die Unteren haben keine Chance gegen die Zwänge, die ihnen die Armut auferlegt, und müssen zuletzt auch ihre Menschlichkeit gegen ein paar Gulden verkaufen. Die Reichen können es sich richten, nachdem ihnen das Revolutionsspiel zu heiß geworden ist: Kammerlander sen. löst seinen Sohn aus, nachdem dieser (Julian Valerio Rehrl) aus der echten Revolution ins Theater geflüchtet war, dort selbstgefällig große Worte missbraucht hat und der jungen Schauspielerin Zäzilie (Johanna Mahaffy) Hoffnungen auf ein besseres, ein revolutionäres Leben gemacht hat.
Die, die Hoffnungen, überkommen auch kurz den Regisseur Ferdinand Tassié (Thomas Frank), der hinausstürmt in die Revolution - und prompt erschossen wird. Nein, das Theater ist in einer echten Welt im Aufruhr machtlos. Aber es kann nach dem Scheitern der Revolution, nachdem die Stadt kaputtgeschossen wurde und die Kinder tot im Fluss liegen, nahtlos weiter von einer besseren Welt träumen.
Und wer am Schluss übrig bleibt, um als Aufständischer erschossen zu werden, ist natürlich nicht der revolutionäre Student aus reichem Hause, sondern die arme Ex-Bedienstete, die den kleinen Traum einer Ballonfahrt mit sich trug und der das wenige Geld, das sie dafür sparen konnte, wegen der Inflation unter den Fingern zerrinnt.
In all dem finden sich natürlich ohne viel zu graben allerlei Aktualitäten. Die werden in der Inszenierung von Stephanie Mohr aber bruchsicher verpackt ans Publikum herangetragen: Das tut kaum weh, auch wenn es angesichts der wirklichen Welt da draußen brennen sollte. Man sieht in der Josefstadt Volkstheater, das von der Burg träumt.
Im fast nackten Theaterraum gibt es tolle Momente, etwa zwischen Franzmeier und Mahaffy, als sich der alte Kauz von der jungen Schauspielerin mit "Brüderlein fein" verführt fühlt (beide sind überhaupt eine Freude auf der Bühne), oder bei der wie nebenbei sich zusammenfügenden Lebensgeschichte der Zäzilie, in der Missbrauch und Prostitution weniger Emotionen bekommen als der Traum der Ballonfahrt. Am Schluss, ein kurzer Moment des Aufbegehrens, schmeißt Holzapfel das Gewehr hin, und Zäzilie singt ein letztes Mal "Brüderlein fein", ein Moment, der schief gehen könnte, aber berührend funktioniert.
Ein Satz von Ludel (der Wendehals, wir sprechen ihn deshalb diesmal nicht französisch aus, schafft es als Diener des Kaisers nach Niederschlagung der Revolution wirklich an die Burg) wird sich bei manchem künfigen Theaterbesuch in die Erinnerung schleichen: "Eine Pause ohne Essen ist keine Pause."
Kommentare