Witwe über Simonischek: "Dann denk’ ich, ich muss ihn anrufen"
Am Anfang war es leichter. Jetzt erst wird ihr langsam bewusst, dass er nicht mehr zurückkommen wird. Am 29. Mai ist der Schauspieler Peter Simonischek an Krebs gestorben. „Ich hab mich noch nicht an seinen Tod gewöhnt“, sagt Brigitte Karner, die ein halbes Leben mit Simonischek verbracht hat.
KURIER: Frau Karner, Sie waren 40 Jahre mit Peter Simonischek verheiratet, gekannt haben Sie ihn noch länger. Wie geht es Ihnen fünf Monate nach seinem Tod?
Brigitte Karner: Jetzt schlechter als am Anfang. Da war ich unter Schock, hab’ gut funktioniert. Es war so viel zu tun. Ich hatte Angst vor der offiziellen Verabschiedung, aber mein Mann fand es toll, dass er ums Burgtheater herumgeführt werden würde. Er hat sich darauf gefreut. Mit der Erkenntnis, dass ich langsam anfange, zu glauben, dass er vielleicht doch nicht wieder kommt, steigert sich der Schmerz. Mit dem Schmerz kommt eine große, schwarze, schwere Wolke. Die kann mich schon richtig ausknocken, das erlebe ich manchmal. Ich fühle mich oft einsam. Ich habe noch immer das Gefühl, er kommt gleich bei der Tür herein. Mindestens drei Mal am Tag denk’ ich, ich muss ihn anrufen, ich muss ihm was erzählen.
Gehen Sie auf den Friedhof?
Sein Grab ist in der Steiermark. Das kommt mir entgegen, weil ich keine täglich praktizierende Friedhofsgängerin bin. Weil ich nicht glaube, dass er dort liegt. Ich bin hier in dieser Wohnung mit ihm zusammen, weil er auch hier gestorben ist. Das ist unsere Familienwohnung, er ist immer noch ein bisschen da, das hilft mir.
➤ Peter Simonischek (1946-2023): Genauso "Jedermann" wie "Erdmann"
Wie schaffen Sie es, so offen über Ihre Trauer zu reden?
Weil ich glaube, dass es vielen Menschen so geht. Ich will Mut machen, zu seinen Gefühlen zu stehen. Es tut wirklich weh. Und es kann einem niemand helfen.
Wie ist es Ihnen gegangen, als die Krebs-Diagnose kam?
Das ist jetzt genau ein Jahr her. Die Diagnose wurde mit einer Aussichtslosigkeit gestellt, die meinen Mann besonders getroffen hat. Diese Empathielosigkeit war erschütternd. Ich erinnere mich, wir haben uns auf eine Bank vor das Krankenhaus gesetzt und Fotos gemacht. Ich hab’ beim Spar eine Flasche Sturm gekauft, wir haben sie gemeinsam ausgetrunken, haben Maroni dazu gegessen und uns gesagt: Was immer kommt, wir machen uns gemeinsam eine gute Zeit. Das haben wir gemacht.
Auf Fotos wirkte Ihr Mann immer so strahlend ...
... weil wir es uns gut gemacht haben. Er ist noch auf die Bühne gegangen. Im letzten Silvester hat er wie immer den Frosch in der Fledermaus gespielt. Zu Hause war er schon sehr schwach, auf der Bühne aber ist er die Treppe rauf und runter und der Frosch war noch nie so gut wie diesmal. Der Herr Roščić (Staatsoperndirektor, Anm.) hat dann auch gleich gefragt, ob er ihn nächstes Jahr wieder spielt. Er wusste ja, dass Peter etwas hat, aber wir haben das immer mit Long Covid umschrieben. Aber es war unvorstellbar, dass dieser großartige Frosch nächstes Jahr nicht wieder kommt.
Auch für Leute, die ihn nicht persönlich kannten, war es schwer zu begreifen, dass dieser strahlende, scheinbar vor Kraft strotzende Peter Simonischek plötzlich nicht mehr da ist.
Auch ich kann es nicht fassen, dass diese Energie plötzlich weg ist. Aber das war eben auch Teil unserer Einstellung zu diesem Beruf. Dass, was immer wir an Problemen haben, niemanden etwas angeht. Wir wollten unsere Zeit in aller Würde haben. Und im Beruf funktionieren. Im Februar hat er noch in Berlin gespielt. Alle, die ihn in der Garderobe gesehen haben, konnten sich nicht vorstellen, dass er auf die Bühne geht. Aber er war großartig. Bis zum letzten Auftritt war er große Klasse. Die allerletzte Vorstellung hatten wir gemeinsam mit unserem aktuellsten Programm in Graz in einem ausverkauften Haus. Ein sensationell gelungener Theaterabend.
Wieso hat sich Ihr Mann wenige Monate vor seinem Tod entschieden, ein Buch zu schreiben?
Es kamen in den letzten Jahren immer Anfragen, aber er wollte nicht. Diesmal war es anders. Die Anfrage des Molden-Verlags erreichte uns nach der Diagnose. Was ihn überzeugte, war, dass die Autorin Saskia Jungnikl ein Buch über den Selbstmord ihres Vaters geschrieben hat. Auch der Vater meines Mannes hat Selbstmord begangen. Das hat Peter nie ganz aufgearbeitet. Hat er jetzt natürlich auch nicht, denn was man nicht im Leben aufarbeitet, macht man auch nicht in der letzten Minute. Aber es war eine schöne Begegnung.
➤Lesen Sie mehr: Peter Simonischek gestorben: Würdigungen aus Politik und Kultur
Auf der Bühne war Ihr Mann oft ein Komödiant. War er das privat auch?
Auch. Aber es gibt immer eine zweite Seite.
Wie hätte Peter Simonischek, so viele Jahre ein kraftvoller Jedermann, die aktuelle Diskussion in Salzburg erlebt? (Die Intendanz der Festspiele kündigte entgegen Zusagen dem kompletten „Jedermann“-Team des Jahres 2023, Anm.)
Michael Maertens schätzte er enorm, auch ich tue das – er ist ein wunderbarer Mensch und ein wunderbarer Schauspieler. Es tut mir so leid, dass es ihn jetzt trifft. Aber der Jedermann hat sich nach dem Abgang meines Mannes in eine Richtung entwickelt, in der jeder getan hat, was er wollte. Das hatte mit einem Jedermann nichts mehr zu tun. Und der Lars Eidinger hat alle verarscht und keiner hat’s gemerkt. Der Jedermann hat eine klare Ausrichtung und es gibt eine klare Grundhaltung zu diesem Stück. Dahin müsste man wieder zurück. Es gibt entweder eine Notwendigkeit, ihn zu spielen, oder man lässt es sein. Diese Verhunzungen tun niemandem gut. Damit hat man sich ganz tief verirrt. Es war richtig, hier die Bremse zu ziehen. Wie man das gemacht hat, ist eine andere Frage. Das wird ein Nachspiel haben.
Matinee Akademietheater
Weggefährtinnen und Weggefährten würdigen Peter Simonischeks Werk und erzählen von persönlichen Begegnungen. Mit Wolfram Berger, Barbara Petritsch, Roland Koch (u. a.) 5.11., 11 Uhr (burgtheater.at).
Adventlesung Graz
Am 17.12. um 16.30 Uhr lesen Brigitte Karner und Kaspar Simonischek im Theater der Komödie Graz „Der 5. Adventsonntag“ (komoedie-graz.at).
Barcelona-Krimi
Brigitte Karner ist am 30.11. im Barcelona-Krimi „Totgeschwiegen“ zu sehen. 20.15 Uhr, ARD
Ein Wort zur erfolgreichen Filmgroteske „Toni Erdmann“. Waren Sie überrascht, Ihren Mann darin so zu sehen? Mit diesem argen künstlichen Gebiss?
Wir haben das Drehbuch gemeinsam gelesen und waren zuerst sehr überrascht. Dann fanden wir’s aber wunderbar. Peter hatte eine unglaubliche Lust, sich zu verstellen. Was das Gebiss angeht: Er hat ja ursprünglich Zahntechniker gelernt. Und er hat in der Schauspielschule ein künstliches Gebiss für sich angefertigt, von dem die Kollegen dann so begeistert waren, dass er für alle Gebisse angefertigt hat. Als dann Toni Erdmann kam, habe ich gleich gesagt: Das passt zu dir! Wir haben immer eine Menge Gebisse herumliegen gehabt. Wir waren sehr glücklich, dass dieser Film so gut angekommen ist.
Gibt es etwas, das Ihr Mann noch machen wollte, zu dem er aber nicht mehr gekommen ist?
Vieles. Seine Enkelkinder aufwachsen sehen.
In einem seiner letzten Interviews hat er gesagt: „Ich kann ja nicht sagen, dass mir das Leben gestohlen worden ist. Das passt schon.“ Hat er das so gemeint?
Viele haben mich gefragt, warum er so positiv geblieben ist. Aber wir waren uns beide immer einig, dass wir keine Opfer sind. Unser Credo war: Wenn etwas auf dich zukommt, dann stellst du dich dem. Das heißt nicht, dass du nicht traurig bist und keine Schmerzen hast. Aber wenn man etwas nicht verändern kann, braucht man auch nicht herumjammern.
Was hilft Ihnen, die Trauer zu bewältigen?
Drei Monate vor seinem Tod hat Peter mich gebeten, mich nach einem Hospizplatz umzuschauen. Gleichzeitig haben wir hier in der Wohnung ein Krankenbett für ihn aufgestellt. Ein wunderbares Palliativteam mit einem Psychologen, einem Physiotherapeuten, einer Ärztin und einem Pfleger ist mehrmals gekommen. Wir haben das gerne in Anspruch genommen, insbesondere die psychologische Betreuung. So haben wir viele Wochen hier verbracht und eine schöne Zeit gehabt. Nicht wissend, dass die Wand schon ganz nahe ist. Mein Mann hat es sicher geahnt, ein paar Tage vorher sicher auch gewusst. Ich habe es nicht gewusst. Drei Tage vor seinem Tod waren wir mit unseren Söhnen hier, wir haben gesungen, gelesen, es war so viel Liebe im Raum. So sterben zu dürfen, das war ein besonderes Geschenk.
Was haben Sie gesungen?
Sie werden lachen. Er liebte das Lied „Großvater“ von STS. Das haben ihm die Kinder dauernd vorgespielt.
Kommentare