"Pension Schöller": Das Burg-Ensemble im LSD-Rausch
Wenn die "Pension Schöller" 126 Jahre nach der Uraufführung aus den Niederungen der Kammerspiele in das erste Haus deutschsprachiger Zunge aufsteigt, dann hat das Burgtheater Erklärungsbedarf. Im Programmheft wird der Autor, Carl Laufs, gleich einmal zurechtgewiesen: "Pension Schöller" zähle, obwohl von diesem "fälschlicherweise" als Posse bezeichnet, "zum humoristischen Genre des Schwanks".
Sie ist dennoch, was sie ist: eine Nummernrevue, eingebettet in eine Rahmenhandlung. Philipp Klapproth aus der Provinz hegt den Wunsch, Menschen kennenlernen zu wollen, die von der Gesellschaft als jenseits der Normalität angesehen werden. Sein Neffe führt ihn daher in besagte Pension Schöller, die er ihm als Klapse verkauft. Und der willfährig manipulierte Oheim sieht folglich in allen Menschen des Beherbergungsbetriebes verhaltensauffällige Irre.
Die Manipulation aber ist nicht das Thema. Es ist die Schmiere, der Slapstick, das Schauspielertheater. Ein Bekenntnis dazu fällt Regisseur Andreas Kriegenburg zunächst schwer. Die erste Viertelstunde geht es nur darum, dass sich das Ensemble eigentlich unter sein Niveau begibt. Sabine Haupt, die später als Domina die Peitsche schwingen wird, entschuldigt sich als kurzsichtiger Kellner im schlimmsten Berlinerisch dafür, die Schale einer Banane fallen zu lassen – nur damit Max Simonischek als Streber mit Sprachfehler darauf ausrutschen kann.
In den folgenden drei Stunden Nettospielzeit reflektiert das Ensemble noch mehrfach die eigene Situation. Roland Koch, der als fideler Philipp Klapproth ein läuterndes Martyrium durchleben muss, räsoniert in einem langen, eindeutig zu langen Monolog, dass er als Schauspieler bloß auf Stichworte warte – und Stichworte gebe. Etwas später disputiert er mit Simonischek, der als Legastheniker Eugen Rümpel geradezu triumphiert, über Authentizität am Theater, also darüber, dass man heutzutage spielt, nicht zu spielen. Die altmodische "Pension Schöller" hingegen ist genau das Gegenteil. Und Kriegenburg versucht auch gar nicht, aus dem Lustspiel etwas anderes zu machen.
Er gewährt jeder und jedem ein ausgiebiges Solo. Die meisten verstehen es zu nutzen. Christiane von Poelnitz begeistert als bis in jede Muskelfaser mitfühlende Groschenromanautorin Josephine Krüger, die tollpatschig durch alle Türen segelt. Und doch gestattet sich Kriegenburg viele Freiheiten und Abschweifungen – etwa in Spielarten der Sexualität.
Roaring Twenties
Zusammen mit Kostümbildnerin Andra Schraad verlegte er die Handlung in das Berlin der Roaring Twenties. Harald B. Thor hat dafür die bühnenfüllenden Buchstaben SMILE als Gebäude dem Bauhausstil nachempfunden. In dieser von Haus aus aufgekratzten Stimmung machen sich die beiden jungen Nichten von Klapproth über dessen Reiseapotheke her – samt LSD. Daraufhin gerät einiges aus den Fugen und auch zum Albtraum. Kriegenburg überrascht mit Parallelhandlungen (alle Männer starren auf eine sich lasziv rekelnde Aenne Schwarz) und dem Tod eines Obdachlosen. Die Nichten, die Tschechows "Drei Schwestern" zitieren, fallen später in eine bizarre Identitätskrise.
Als psychedelischer Höhepunkt wird das Spektakel zu einer typischen Bollywood-Szene – mit indischer Disco-Musik und bunten Seidentücher. Sehr amüsant.
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