Paul Rotterdam: Der Maler-Denker, dem ein Wunder geschah
Manchmal tut sich an unerwarteter Stelle eine Tür auf. In diesem Fall wird sie geöffnet von einem feingliedrigen älteren Herrn mit wachem Blick, der abseits einer Schar von Eingeweihten nur wenigen Personen in Österreich ein Begriff ist.
Die Tür gibt einen Weg frei, der zu einer ungewohnten Perspektive auf die Kunstentwicklung in Österreich führt. Er führt zu einer längst zerstörten Wandmalerei in einem Abbruchhaus in Leoben, die möglicherweise genial war, die aber niemand außer ihrem Schöpfer, Paul Zwietnig-Rotterdam, je gesehen hat. Der Weg des kompromisslosen österreichischen Künstlers und Philosophen führte von der Steiermark weiter in die USA, an die Harvard-Universität, nach New York und in die ländliche Einschicht.
Welt im Bild
Paul Zwietnig-Rotterdam, der im vergangenen Jahr 85 wurde, ist ein rares Bindeglied zu den Avantgarden des 20. Jahrhunderts – ein Vertreter eines radikalen Kunstverständnisses, in dem ein Werk eine Welt für sich bildet und Ort philosophischer Überlegungen ist. Der Satz „Werkerfindung ist Welterfindung“ von Wassily Kandinsky findet sich in Rotterdams jüngstem Buch „Nachtbogen“ zitiert – und wie der Urvater der Abstraktion ist der Austro-Amerikaner ein Mensch, der eine spirituelle Suche mit intellektuellem Scharfsinn zu verbinden weiß.
Anders als österreichische Kunstschaffende, die nach Erfolgen und Herausforderungen in New York wieder nach Österreich zurückkehrten – zu nennen wären Wolfgang Hollegha, Maria Lassnig, Kiki Kogelnik – war Zwietnig-Rotterdam in den USA geblieben, nachdem ihn die Harvard University 1966 zunächst nur kurzfristig als Gastdozent ins Land geholt hatte. „Ich habe dort jeden Mittwoch von 11 bis 13 Uhr über theoretische Probleme in der Kunst des 20. Jahrhunderts gesprochen, aber immer nur im Frühjahrssemester, weil ich in New York City gelebt habe und mich auf meine Malerei konzentrieren wollte“, erzählt er. Bis 1987 lehrte Rotterdam an der Elite-Uni, dann entschloss er sich, „Eremit zu werden“, wie er sagt. „Wenn man in New York als Maler einen gewissen Namen hat, ist man unter kontinuierlicher Beobachtung. Ich wollte dem entgehen.“
Theoretiker und Mönch
Dass ein solcher Rückzug auf dem Boden einer streng durchdachten künstlerischen Logik erfolgte, ist ebenso faszinierend, wie es aus einer Außenperspektive schwer nachvollziehbar ist. Doch der Theoretiker und der Mönch sind bei Rotterdam eine Person. Seine Werke selbst – fein ziselierte Zeichnungen und Gemälde –, künden von einer intensiven Auseinandersetzung mit den Grenzen des Darstellbaren, mit Fragen der Bildfläche und der Bildgrenze. Sie illustrieren diese Suche aber nicht. „Ich wollte die abstrakte Malerei weitertreiben in ein Territorium, wo erstens eine freie Formfindung möglich ist und zweitens etwas dargestellt wird, ohne es wirklich abzubilden“, sagt Rotterdam. „Der Inhalt wird emotional wahrgenommen.“
Zentral für Rotterdams Weg war ein Erlebnis, von dem der Künstler im Band „Nachtbogen“ ausführlich berichtet: 1982, erzählt er, habe er in einem Vortrag ein Bild des Romantikers Caspar David Friedrich von 1810 besprochen, das einen weißen Bogen zeigt, der sich über einen dunklen Himmel spannt. „Ich habe behauptet, dass das eine reine Bilderfindung wäre und dass es so etwas in der Realität nicht gibt“, so Rotterdam. Doch nach der vierstündigen Heimfahrt erblickte der Künstler gemeinsam mit seiner Frau genau einen solchen Bogen über seinem Wohnort.
Das Wunder
Die Realität der Kunst („Alles, was sich in der abstrakten Malerei abspielen muss, ist eine eigenständige Realität. Das Bild ist eine Totalität“, sagt Rotterdam), schien in diesem Moment mit der Wirklichkeit zusammenzufallen. „Dass der Bogen genau in dem Augenblick erscheint, da wir aussteigen und ich zuvor diese Vorlesung gehalten habe – das war ein Wunder!“, sagt der Künstler.
Dass es eine Weile brauchen könnte, um derlei Dinge zu verstehen, lässt Rotterdam seinen Zuhörer, der sich das Zweifeln zum Wesensmerkmal gemacht hat, gleich wissen: Auch ihm würden erst heute viele Zusammenhänge klar. Das Analytische und das Spirituelle würden sich für ihn aber keinesfalls spießen, sagt Rotterdam.
„Das transzendente Erleben während des Malens ist ja etwas, das man nicht aufhalten kann“, sagt er und betont, nach seinem Tagwerk oft eine tiefe Dankbarkeit gegenüber dem zu empfinden, was ihm da gegeben wurde. „Ein Komponist folgt ja auch gewissen Regeln, doch man denkt an die dann gar nicht – es ist etwas Automatisches“, sagt er.
Dass Zwietnig-Rotterdam Österreich nie ganz den Rücken kehrte, liegt auch daran, dass er seit 1997 jährlich drei Wochen in der Benediktinerabtei Seckau verbringt – „eine relativ intensive Angelegenheit, eine Periode der Kontemplation“, wie er sagt. Dass sein Werk großteils in den USA verblieb, hätte seine Mutter immer gestört, erzählt er. Eine Schenkung von 29 Gemälden und Zeichnungen an die Niederösterreichischen Landessammlungen sollte dieses Manko beheben.
Nach einer Ausstellung in Wiener Neustadt im Spätsommer erlitt der Künstler allerdings einen Herzinfarkt und musste für längere Zeit ins Krankenhaus – auch das Treffen mit dem KURIER fand daher später statt als geplant. „Ich bin aber in einem sehr guten Stadium mit meiner Malerei, und die Engel sind mit mir gewesen und lassen mich noch einige Jahre in der Welt sein“, sagt Zwietnig-Rotterdam zuversichtlich. „Denn ich habe noch einige gute Projekte in meiner Vorstellung.“
- Paul Zwietnig-Rotterdam wurde 1939 in Wiener Neustadt geboren. Die Familie flüchtete vor Bombardements im Krieg und ließ sich 1947 in Leoben nieder. 1968 Übersiedlung in die USA, bis 1987 Dozent in Harvard. In den 1970ern Vertretung durch die prominente Galerie Maeght, Ankäufe u. a. durch das MoMA New York. In Österreich besitzen u. a. die Albertina und die Sammlung Leopold Werke, zuletzt schenkte der Künstler dem Land NÖ 29 Arbeiten .
- Das Buch „Nachtbogen“ (Hirmer Verlag, 21,50 €) verbindet Texte zur Kunst mit Auszügen von Rotterdams bildnerischem Schaffen .
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