Sehen und doch glauben: Kunst entdeckt das Spirituelle

Sehen und doch glauben: Kunst entdeckt das Spirituelle
Wie aufgeklärt ist die Kunst wirklich? Eine Schau behilft sich bewusst mit „Grenzwissenschaft".

Wenn in Österreich eines fernen Tages ein neuer Bundespräsident angelobt werden wird, wird sich dann etwas Messbares ändern?

Der Akt, der dem gewählten Kandidaten Macht verleiht, ist „performativ“, wie man in Kunstkreisen gerne sagt, ebenso, wie Heiraten oder die Wandlung der Hostie bei einer Messe „performativ“ ist: Eine Handlung ändert einen Zustand, aber eine stoffliche Veränderung ist nicht nachzuweisen.

Nicht zufällig stammt die Zauberformel „Hokuspokus“ vom lateinischen „hoc est corpus meum“ („Dies ist mein Leib“) ab: Man muss glauben, dass die Hostie der Leib Christi ist. Mit dem Glauben hat aber die Kunst, die sich erst nach Jahrhunderten aus der Abhängigkeit von Kirchen befreite, ein Problem: Hier gibt man sich gern aufgeklärt und konfessionslos. Wenn ein Banause fragt, was einen Gegenstand zur Kunst und besonders wertvoll macht, antwortet man in wissenschaftlichem Jargon, aber nicht mit Worten wie „Aura“ oder „Energiefeld“. Esoterik ist der Elefant im Raum, über den niemand spricht.

Flucht nach vorne

Sehen und doch glauben: Kunst entdeckt das Spirituelle
Einige Künstler treten nun aber die Flucht nach vorne an: Der Kunstraum Niederösterreich in der Wiener Herrengasse wurde im Vorfeld der aktuellen Schau „Aura Undercover“ (bis 1.10.) von zwei Wünschelrutengehern „energetisch“ vermessen und mit einem Ritual „gereinigt“. Die Kuratorin und Künstlerin Lena Lieselotte Schuster legte dazu eine Grafik an, die zeigt, an welchen Plätzen im Raum Kunstwerke oder Performances bisher vorrangig positioniert waren. Schreibt sich Kunst tatsächlich in den Raum ein, hinterlässt Geistiges Spuren?

Solche Fragen wurden in ähnlicher Form auch öfters von Heroen der modernen Kunst wie Wassily Kandinsky gestellt – und wieder verdrängt. Als bei der „Documenta13“ in Kassel anno 2012 die Kuratorin Carolyn Christof-Bakargiev über den Handlungsspielraum von Hunden und Erdbeeren referierte und zahlreiche Projekte zeigte, die auf die Einbindung von Tieren und Pflanzen in den Schaffensprozess bauten, schien der Schamanismus in den Kunstmainstream einzuziehen.

2013 zeigte der Kurator Massimiliano Gioni bei der Venedig-Biennale Außenseiter-Positionen wie die Schwedin Hilma af Klint (1862–1944), die sich bei spiritistischen Sitzungen betätigte und ihre Visionen – noch vor den Heroen der Moderne – in abstrakte Gemälde übersetzte. Die Grenzwand zum Nicht-Rationalen ist brüchig geworden.

Eso-Trend ?

Es wäre dennoch vorschnell zu glauben, dass sich eine gelangweilte Kunstwelt nun eben rasch Esoterisches als unterhaltsame Frischzellenkur in ihre Räume holt. Als der Künstler Carsten Höller anno 2010 Rentiere im Hamburger Bahnhof in Berlin hielt und sie Fliegenpilze essen ließ, ging es nicht wirklich darum, aus dem Urin der Tiere einen angeblich magischen Trank („Soma“) zu kredenzen: Im Kunst-Kontext konnte man ein magisches Weltbild in Relation zum eigenen, angeblich „rationalen“ betrachten, Selbstverständliches neu bewerten.

Um eine solche Schärfung der Urteilsfähigkeit geht es idealerweise auch, wenn nun die Energetiker im Kunstraum Niederösterreich ihr Werk getan haben. Es ist hoch an der Zeit, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Systeme offen zu sprechen. Auch, weil sich Texte über Kunst heutzutage manchmal wie esoterische Pamphlete lesen.

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