Paul Lendvai feiert heute seinen 95. Geburtstag: Der Unermüdliche
Ihn als versierten Auslandsjournalisten zu bezeichnen, wäre eine grobe Untertreibung. Paul Lendvai ist ein Urgestein des außenpolitischen Journalismus in Österreich. Er baute die ORF-Osteuroparedaktion auf, führte jahrzehntelang durch das „Europastudio“ und er schrieb und schreibt unermüdlich.
Neben dem ORF arbeitete der gebürtige Ungar unter anderem für die Presse, den Standard und die Financial Times. Und er schrieb Bücher. Zuletzt veröffentlichte der nimmermüde Mahner und Kritiker Anfang des Jahres bei Zsolnay das Buch „Über die Heuchelei“. Darin möchte er „insbesondere die Rolle der Heuchelei, der Doppelmoral, der menschlichen und politischen Doppelzüngigkeit und Scheinheiligkeit“ in der Politik aufzeigen. Er stellt unter anderem dar, wie Russlands Präsident Wladimir Putin und Ungarns Regierungschef Viktor Orbán es verstanden haben, westliche Politiker für sich einzuspannen oder sie in Sicherheit zu wiegen.
Kein Blatt vor den Mund
Paul Lendvai ist bekannt dafür, dass er sich nie ein Blatt vor den Mund genommen hat. Er tritt gegen Provinzialismus auf, für Europa ein und er kritisiert Russland scharf. Dort sei eine „wirtschaftliche und soziale Bankrotterklärung“ zu beobachten, Putin benutze die Außenpolitik als Ablenkungsmanöver und die EU müsse es rote Linien bezüglich Russland geben, sagte er unlängst im Interview mit dem KURIER.
Geboren wurde Paul Lendvai 1929 in Budapest. Nach der Matura begann er neben seinem Jusstudium im Alter von 18 Jahren journalistisch zu arbeiten. Von den Nationalsozialisten verfolgt, rettete ihn nur ein Zufall vor der Deportation in ein Todeslager im Oktober 1944.
Erst 1953 wurde Lendvai amnestiert, musste sich allerdings als freier Journalist und Übersetzer sein Einkommen sichern, da er mit einem Berufsverbot belegt worden war. Schließlich setzte er sich nach Österreich ab, da er die politische Lage in seinem Heimatland nicht mehr ertragen habe, wie er in seinen Memoiren schreibt. Seit 1957 lebt er in Wien, erhielt 1959 die österreichische Staatsbürgerschaft und arbeitete bis 1982 als Osteuropakorrespondent für die Presse. Ab 1973 war er Chefredakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift Europäische Rundschau.
Politischer Kommentar
Größere Bekanntheit erlangte er mit seinen außenpolitischen Kommentaren im ORF. Ab 1982 war er fünf Jahre lang Chefredakteur der Redaktion für Ost- und Südosteuropa des ORF, von 1987 bis 1998 Intendant von Radio Österreich International.
Von 1980 bis 1989 präsentierte Lendvai das „Oststudio“ im ORF. Mit dem Ende des Ostblocks wurde die Sendung 1990 zum „Europastudio“, das Lendvai 255 Mal leitete. Im April 2024 begrüßte er als 94-Jähriger zum letzten Mal als Gastgeber – nach insgesamt 44 Jahren. 2013 legte er mit „Leben eines Grenzgängers“ seine Memoiren vor. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, unten anderem mit dem Großen und dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik und dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.
2022 zeichnete ihn der Presseclub Concordia für sein Lebenswerk aus. Dabei hielt er über sich und seine Berufskollegen fest: „Wir zeichnen das Gesicht der Zeit. Ohne uns wäre die Gesellschaft blind und taub, eine leicht lenkbare Masse für jene, die die Zeit des starken Mannes vorbereiten wollen.“ In Ungarn, seinem Geburtsland, würden bereits die letzten Reste der freien Medienlandschaft still sterben. In Österreich gebe es dagegen noch eine freie Medienlandschaft
Kommentare