"Parsifal": Der Erlöser saß im Graben

epa03638803 A photograph made available on 24 March 2013 showing members of the cast taking part in a rehearsal for Richard Wagners opera 'Parsifal' with Johan Botha (C) as Parsifal as part of the Sazlburg Easter Festival 2013 at the Festival Hall in Salzburg, Austria on 18 March 2013. The festival opened on 23 March 2013. EPA/BARBARA GINDL
Kritik: Dirigent Christian Thielemann rettete eine schwache "Parsifal"-Produktion.

Schon nach dem ersten Aufzug des Bühnenweihfestspiels „Parsifal“ rief ein Besucher in die vom Komponisten an dieser Stelle verordnete Stille: „Armer Wagner!“ Mit dieser Inszenierung wurde dem Bayreuther Meister und seiner letzten Oper wirklich etwas angetan.

Aber reden wir lieber zunächst vom Erfreulichen: vom Dirigenten Christian Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Das Orchester, von Wagner selbst einst als seine „Wunderharfe“ bezeichnet, ist ideal für dieses Repertoire. Fast immer präzise, farbenprächtig, nuanciert, ausgefeilt in der Balance und klanglich geradezu vollendet ertönt „Parsifal“ im Großen Salzburger Festspielhaus.

Qualitäten

Kleine Unsauberkeiten anfänglich beim Blech ändern nichts daran: Dieser Klangkörper mit den samtenen Streichern und den fabelhaften Bläsern zählt zu den besten der Welt, im Opernfach zurzeit zweifellos um vieles besser als die Berliner Philharmoniker, deren Nachfolge die Dresdner nun bei den Salzburger Osterfestspielen angetreten haben.

"Parsifal": Der Erlöser saß im Graben
Pressebild
Die Musiker lesen ihrem Chefdirigenten jeden Wunsch von den Fingern ab. Den ersten Aufzug nimmt Thielemann in erstaunlich raschem Tempo, er benötigt dafür nur 1:35 Stunden, als wäre es eine Hommage an den Festspielgründer Herbert von Karajan, der – im Gegensatz zu Wilhelm Furtwängler etwa – am Pult (und nicht nur dort) oft sehr schnell unterwegs war.

Ab dem zweiten Aufzug zelebriert Thielemann die Schönheiten dieser Oper, ohne dabei je an Substanz, an Tiefgang zu verlieren. Da gibt es sie wieder, seine berühmten Generalpausen, etwa vor dem Karfreitagszauber, die Fermaten, die er auskostet, die Rubati. Beeindruckend sind auch immer wieder seine Pianissimi und die Versuche, mit den Sängern die schwierigsten Passagen wie zarte Lieder zu gestalten. Hier atmen Dirigent, Musiker und alle Beteiligten auf der Bühne gemeinsam.

Tugenden

Auffallend war auch, wie Thielemann sich zu Beginn der Aufzüge nicht sichtbar zum Pult schlich, um aus dem Nichts, aus dem Dunkel musikalisch anzuheben. Das wiederum war eindeutig ein Bemühen, Bayreuther Flair nach Salzburg zu zaubern. Dort nämlich sieht man den Dirigenten nicht, und jeder Abend beginnt geradezu mystisch. Im dritten Aufzug jedoch vermasselte ihm das Publikum dieses Vorhaben und spendete schon vor dem ersten Ton tosenden Applaus.

Die Besetzung ist gut, wenn auch nicht durchwegs überragend. Johan Botha singt den Parsifal klar, sicher in der Höhe, ganz linear und mit der nötigen heldischen Durchschlagskraft. Stephen Milling ist ein mächtiger Gurnemanz mit exzellenter Tiefe und etwas weniger Sicherheit in der Höhe. Michaela Schuster als Kundry ist, im Kontrast zu ihren Kollegen, manchmal etwas zu dramatisch und schrill. Der Chor (aus Dresden und aus München) singt beeindruckend. Und Wolfgang Koch gestaltet gleich zwei Partien: für den Klingsor wirkt er zu wenig bedrohlich, als Amfortas zu wenig berührend. Es gibt halt gute Gründe, warum das zwei Sänger sein sollten.

Unsitten

Auch die Regie von Michael Schulz erklärt diese Doppelfunktion, den Alter-Ego-Ansatz von Opfer und Täter, nicht ausreichend. Womit wir beim zentralen Problem der Aufführung wären: Was diesfalls auf der Bühne zu sehen ist, ist nicht nur aufgrund der hässlichen Kostüme (Alexander Polzin, der auch für das Bühnenbild verantwortlich ist) eine Beleidigung des guten Geschmacks. Dieser „Parsifal“ ist substanzlos, klischeehaft, ja sinnentleert.

Absurditäten

Diese Inszenierung besitzt keinen erkennbaren philosophischen Überbau. Stattdessen sieht man Versatzstücke aus aller Welt: Choristen, die Helfer in Fukushima (oder doch Außerirdische?) sein könnten; Jesus-Kasperln, die Pseudo-Tai-Chi betreiben und optisch als „Beach Boys“ besser in eine „Jesus Christ Superstar“-Produktion passen würden; nackte Tänzerinnen, welche die nach wie vor existierende Geilheit des Amfortas dokumentieren sollen – der Gralskönig steht diesmal nämlich noch erstaunlich gut im Saft.

Auch die Zeichnung der Kundry ist sexuell motiviert und banal: Sie ist eine unausgelastete Maria Magdalena. Dafür sind die Blumenmädchen so unerotisch wie wohl nie zuvor. Dass ein stark Kleinwüchsiger der eigentliche Klingsor im Zaubergarten der zerbrochenen Heldenstatuen sein muss, bedient billigen Voyeurismus. Am Endes des zweiten Aufzugs versucht Kundry zunächst Parsifal mit dem Speer zu erstechen (was Klingsor tun sollte). Danach erstickt sie den kleinen Alternativ-Klingsor – ein ekelhaftes Bild. Wie dieser Regisseur den Protagonisten seine rätselhaften Ideen erklärte – bei diesem Gespräch wäre man gerne dabei gewesen. Oder doch lieber nicht.

Gut an der optischen Umsetzung sind nur das Licht von Urs Schönebaum und die Projektionen (u. a. schwebende Köpfe) auf den Plastikzylindern im ersten Aufzug. Wenn es aber, passend zur Geschichte des Parsifal, bei dieser Produktion einen (künstlerischen) Erlöser gab, dann war er im Orchestergraben zu finden. Ein „Parsifal“ zum Wegschauen, aber zum genauen Hinhören.

KURIER-Werung: *** von *****

Szenenbilder von "Parsifal"

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